München – Im Umgang mit Twitter ist der Kreml nicht zimperlich: Kürzlich erst drosselte er die Geschwindigkeit der Plattform, weil sie sich weigerte, unliebsame Inhalte zu löschen. Wenn es ums Selbstmarketing geht, greift Moskau dann aber doch ganz gerne auf das Netzwerk zurück. Der Impfstoff Sputnik V etwa hat einen eigenen Account, auf dem heftig für die russische Impfkampagne geworben wird. Gestern ging der Blick aber zur Abwechslung mal nach Berlin.
Dort hatte Gesundheitsminister Jens Spahn nämlich aus russischer Sicht Erfreuliches verkündet: Deutschland werde „bilateral auch mit Russland“ über Lieferungen des russischen Corona-Impfstoffs sprechen, sagte der CDU-Politiker im WDR-Radio. Tags zuvor hatte schon Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärt, für den Freistaat einen Vorvertrag über bis zu 2,5 Millionen Dosen geschlossen zu haben. Mecklenburg-Vorpommern zog gestern nach.
Für Russlands Präsident Wladimir Putin sind das gute Nachrichten. Zwar will die EU-Kommission keine Verträge über Sputnik abschließen, dafür reißen sich nun die Einzelstaaten um das Präparat. Dass die russischen Zündeleien an der ukrainischen Grenze dabei in den Hintergrund geraten, dürfte Putin ganz gut in den Kram passen.
Spahn betonte, Voraussetzung für den Kauf von Sputnik sei eine Zulassung der EU-Arzneimittelbehörde EMA. Das Verfahren dort läuft seit März im Rahmen einer sogenannten Rolling Review. Dabei werden Testergebnisse geprüft, auch wenn noch nicht alle nötigen Daten vorliegen und noch kein Zulassungsantrag gestellt wurde. Im April wollen EMA-Experten Produktion und Lagerung des Impfstoffs in Russland begutachten.
EU-Länder wie Ungarn und die Slowakei haben Sputnik schon auf eigene Faust angeschafft. Budapest erteilte eine Notfallzulassung, die Slowakei aber zögert noch. Gestern veröffentlichte die dortige Arzneimittelkontrolle einen kritischen Bericht, in dem die Qualität der gelieferten Chargen bemängelt wird.
Deutsche Experten setzen dennoch Hoffnungen in das Vakzin, das angeblich zu 91,6 Prozent wirksam sein soll. Die publizierten Daten „sehen sehr gut aus“, sagte der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, im ZDF – wobei er nicht wisse, was der EMA an zusätzlichen Daten vorliege. „Wenn der Impfstoff geprüft und zugelassen wird, hätte ich persönlich dagegen nichts einzuwenden.“
Aus Spahns Sicht muss nun bald geklärt werden, welche Mengen des Stoffs wann geliefert werden könnten: „Um wirklich einen Unterschied zu machen in unserer aktuellen Lage, müsste die Lieferung schon in den nächsten zwei bis vier, fünf Monaten kommen – ansonsten haben wir so oder so mehr als genug Impfstoff.“ Der Impfstoff-Beauftragte der EU-Kommission, Thierry Breton, erwartet keine schnell Entlastung. Auch ohne Sputnik rechne er mit genügend Dosen bis Ende Juni, um rund 70 Prozent der Erwachsenen zu impfen. Im ersten Quartal seien 108 Millionen Dosen geliefert worden, für das zweite rechne er mit 360 Millionen weiteren.
Spahn äußerte sich auch zum Sorgen-Vakzin von Astrazeneca und betonte, es werde trotz der EMA-Freigabe weiterhin nicht bei Menschen unter 60 Jahren eingesetzt. Die Entscheidung über den Wechsel von Astrazeneca zu einem anderen Präparat für die Zweitimpfung soll erst in der nächsten Woche fallen. Zunächst wollten die Gesundheitsminister der Länder am Dienstag mit Spahn und dem Stiko-Chef noch offene Fragen diskutieren, hieß es aus den Reihen der Länderminister. mmä/dpa