Berlin – Führende Aerosol-Forscher aus Deutschland fordern von der Politik einen Kurswechsel bei den Maßnahmen zur Corona-Eindämmung. „Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass drinnen die Gefahr lauert“, heißt es in einem Brief an die Regierungen von Bund und Ländern. Sars-CoV-2 werde fast ausnahmslos in Innenräumen übertragen.
In Wohnungen, Büros, Klassenräumen, Wohnanlagen und Betreuungseinrichtungen müssten Maßnahmen ergriffen werden, schreiben die Verfasser, zu denen der Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, Christof Asbach, und der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, zählen. In Innenräumen fänden Ansteckung auch dann statt, wenn man sich nicht direkt treffe, sich aber ein Infektiöser vorher in einem schlecht belüfteten Raum aufgehalten habe.
Die Aerosol-Experten empfehlen, Treffen in Innenräumen so kurz wie möglich zu gestalten. Man solle in Innenräumen effektive Masken tragen, mit häufigem Stoß- oder Querlüften Bedingungen wie im Freie schaffen und Raumluftreiniger sowie Filter überall dort installieren, wo Menschen sich länger in geschlossenen Räumen aufhalten müssen – etwa in Pflegeheimen, Büros und Schulen. Diese Kombination führe zum Erfolg.
Sars-CoV-2-Viren können sich Aerosole, also Gemische aus kleinsten Schwebeteilchen in der Luft, anheften. So können sie über Stunden in der Luft bleiben. Im Freien verteilen sich Aerosole aber schnell. Der Anteil der Ansteckungen im Freien läge im Promille-Bereich, heißt es in dem Brief der Aerosol-Forscher. Debatten über das Flanieren auf Flusspromenaden, den Aufenthalt in Biergärten, das Joggen oder Radfahren seien kontraproduktiv. Eine Maskenpflicht beim Joggen wie in Hamburg etwa ließe „keinen nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen erwarten“.
Auch würden im Freien keine größeren Gruppen – sogenannte Cluster – infiziert, wie das in Innenräumen etwa in Heimen oder Schulen, bei Veranstaltungen, Chorproben oder Busfahrten zu beobachten sei. Ausgangssperren, wie sie der Bund befürwortet, versprechen aus Sicht der Aerosol-Experten mehr, als sie halten können. Heimliche Treffen in Innenräumen würden damit nicht verhindert.
Auch Mobilitätsforscher vom Fachgebiet Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik an der Technischen Universität Berlin sehen Nachbesserungsbedarf in der Arbeitswelt. Für Mehrpersonenbüros müsse gelten, dass man dort nur mit gültigem Schnelltest oder nach Corona-Impfung sitzen dürfe, andernfalls müssten alle FFP2-Maske tragen. Die Wissenschaftler um den TU-Forscher Kai Nagel empfehlen in einer Stellungnahme, Aufenthalte im Freien mit maximal einer weiteren Person nicht zu verbieten – „um die Akzeptanz der Regelung in der Bevölkerung zu sichern“. dpa