Der Kampf der Modellregionen

von Redaktion

Saarland, Rostock, Tübingen: Wie trotz steigender Zahlen ein Lockdown verhindert werden soll

München – Farbtöne können fließend ineinander übergehen, sogar auf einer Ampel. Am Mittwoch stand sie im Saarland, seit zehn Tagen Corona-Modellregion, noch auf Gelb. Einen Tag später sprachen erste Beobachter von Orange, mit Tendenz zu Rot. Das Umspringen sei jederzeit möglich, warnte das Gesundheitsministerium. Noch bleibt sie unverändert. Aber auf einem sehr dunklen Gelb.

Seit 6. April richten sich viele Blicke auf das kleine Bundesland. Trotz bundesweit steigender Infektionszahlen startete Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) ein Öffnungsmodell, das mit einem aktuellen Schnelltest zahlreiche Lockerungen ermöglicht, von privaten Kontakten über Einzelhandel und Außengastronomie bis zum Besuch von Kinos, Theatern oder Fitnessstudios. Weil das Projekt von Anfang an viel Kritik auf sich zog, betonen die Entscheider demonstrativ, die Öffnungen nicht um jeden Preis durchzupeitschen. „Ohne zu zögern“ werde man die Notbremse ziehen, wenn das Infektionsgeschehen außer Kontrolle gerate, versicherte Gesundheitsministerin Monika Bachmann Anfang der Woche.

Seitdem ist es ein Ritt auf der Rasierklinge. Am Mittwoch lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 133,2 und der R-Wert bei enormen 1,5 – 100 Infizierte stecken demnach 150 weitere Personen an. Nur weil die Zahlen seitdem wieder sanken (auf 121 und 1,1), gehen die Öffnungen weiter – auf Bewährung. Dass aber jeder Tag für das Projekt der letzte sein kann, ist der Landesregierung bewusst. Die Kritik schwoll zuletzt weiter an. Die Saarländische Krankenhausgesellschaft warnte vor einer Überlastung der Intensivstationen. Die Lage sei „sehr angespannt“.

Mit steigenden Infektionszahlen nimmt der öffentliche Gegenwind für die Modellregionen allgemein zu. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, beklagte am Donnerstag, es sei „naiv zu glauben, das Virus wegtesten zu können“. Konkret richtete sich seine Kritik ans Saarland. Und an Tübingen. Dort sind bereits seit März etliche Geschäfte und öffentliche Einrichtungen offen, doch die Stadt hat sich den Umständen anpassen müssen. Die Außengastronomie ist mittlerweile wieder dicht, und auch für Besucher von außerhalb des Landkreises ist das Projekt beendet. Weil die Tübinger Sieben-Tage-Inzidenz (zuletzt 86) aber deutlich unter der des Landes Baden-Württemberg (165) liegt, hat OB Boris Palmer (Grüne) das Gefühl, „dass wir irgendetwas richtig gemacht haben“.

Ein Kampf wird es dennoch bleiben, erst recht, wenn die bundesweit einheitliche Notbremse greift. In Mecklenburg-Vorpommern zieht die Landesregierung sie bereits ab Montag. Das betrifft auch Rostock, das neben Tübingen bundesweit bekannteste Pilotprojekt, das den Besuch von Theatern ebenso ermöglichte wie den von Fußballstadien. Noch vor vier Wochen war hier eine Inzidenz von 22 zu bestaunen, doch auch an der Ostseestadt ist das Corona-Geschehen seitdem nicht spurlos vorbeigezogen. Bis Donnerstag (135,3) hatte sich die Inzidenz versechsfacht.

OB Claus Ruhe Madsen (parteilos) sagte der „Ostsee-Zeitung“, er wehre sich gegen „pauschales Dichtmachen“. Nächtliche Ausgangsbeschränkungen würde er mittragen, bei den Schulen hingegen hofft er auf kreativere Ansätze. Maximal 14 Tage sollten sie geschlossen bleiben. Weil dann schon Mai ist und das Wetter stabiler, würden sich neue Möglichkeiten bieten. Madsen könnte sich vorstellen, den Unterricht ins Freie zu verlegen. MARC BEYER

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