München – Es ist ein Versuch, die Blockaden zu durchbrechen. Blockaden, die beim Bund-Länder-Gipfel zum Teil spät in der Nacht entstanden sind. Bei stundenlangen Debatten über Schulschließungen, kontaktlosen Urlaub, Ruhetage über Ostern. Solche Videoschalten wird es in den kommenden Wochen nicht mehr geben. Stattdessen will die Kanzlerin das Infektionsschutzgesetz verschärfen: Die Notbremse soll für ganz Deutschland einheitlich gelten. Der Bundestag sollte am Freitag darüber beraten – aber auch hier wurde über Angela Merkels Kurs hauptsächlich gestritten.
Sie habe die letzte Beratung zwischen Bund und Ländern als „Zäsur“ empfunden, sagt Merkel. Jetzt soll es das Parlament besser machen: „Wir müssen die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen besser bündeln als zuletzt.“ Die bundesweite Notbremse sei nicht nur dringend – „sie ist überfällig“.
Denn die Zahl der Neuinfektionen steigt weiter: Das Robert-Koch-Institut meldete zuletzt mehr als 25 800 Fälle binnen eines Tages. Bislang sind etwas mehr als 18 Prozent der Bürger mindestens einmal geimpft – noch zu wenig, um die angespannte Situation auf den Intensivstationen in den Griff zu bekommen. Merkel, die am Freitag selbst mit Astrazeneca geimpft wurde, appellierte: „Die Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen. Wer sind wir denn, wenn wir diese Notrufe überhören würden?“
Jetzt soll es die Bundes-Notbremse richten. In Kreisen mit einer Inzidenz über 100 würde das heißen: schärfere Kontaktbeschränkungen, Einzelhandel, Freizeiteinrichtungen und Gastronomie bleiben dicht. Unternehmen sind zu Corona-Test-Angeboten verpflichtet, und auch Schüler sollen sich regelmäßig testen. Ab der Inzidenz 200 wird der Präsenzunterricht gestrichen (in Bayern gilt das bereits ab 100). Besonders umstritten: die Ausgangssperre ab 21 Uhr. Vor allem da gibt es Streit.
Der Kanzlerin ist klar, dass sich Menschen im Freien sehr viel weniger anstecken als in geschlossenen Räumen. „Aber bei der Ausgangsbeschränkung geht es ja um etwas anderes“, sagt sie – nämlich darum, „abendliche Besuchsbewegungen“ von einem Ort zum anderen zu reduzieren. „Die Einwände nehme ich ernst“, verspricht Merkel. Im Plenum hört man Gelächter. Aus den Reihen der AfD-Fraktion werden Zwischenrufe laut. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) muss die Kanzlerin sogar unterbrechen und mahnt zur Ordnung.
Gleich nach Merkels Rede nutzt AfD-Fraktionschefin Alice Weidel die Gelegenheit, um mit ihr abzurechnen. „Sie misstrauen den Bürgern“, unterstellt sie der Kanzlerin, „deshalb wollen Sie sie tagsüber gängeln und nachts einsperren.“ Die Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes sei ein „alarmierendes Dokument obrigkeitsstaatlichen Denkens“, man plane damit ein „Notstandsgesetz durch die Hintertüre“. Applaus von rechts im Plenum.
Die FDP droht sogar mit Verfassungsklage. „In der Praxis bedeutet das, dass ein geimpftes Ehepaar aufgrund eines Ausbruchs in einem kilometerweit entfernten einzelnen Betrieb daran gehindert wird, alleine nach 21 Uhr vor die Tür zu treten zum Abendspaziergang“, sagt Fraktionschef Christian Lindner. Man müsse auch an Studenten in Ein-Zimmer-Wohnungen und Familien ohne Balkon denken.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch wirft der gesamten Union ein Versagen vor. „Das Problem sind die Minister der CDU und CSU“, sagt er. „Sie haben schlecht regiert!“ Das Gesetz sei eine „Abrissbirne des Parlamentarismus“. Hingegen geht den Grünen der Gesetzesentwurf gar nicht weit genug – außerdem komme er zu spät, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: „Eine Inzidenz von über 100 ist zu spät, um zu bremsen“, sagt sie. Vor allem die Beschränkungen in der Wirtschaft seien viel zu locker – was gleichzeitig die Ausgangssperren unverhältnismäßig mache.