Washington/Minneapolis – Für US-Präsident Joe Biden hat der Schuldspruch im Prozess gegen den Polizisten Derek Chauvin Signalwirkung. Kurz nachdem der Ausgang des Verfahrens in Minneapolis bekannt geworden war, trat Biden am Dienstag an die Öffentlichkeit. Zudem telefonierte er mit Angehörigen des von Chauvin am 25. Mai letzten Jahres getöteten Afro-Amerikaners George Floyd. Die Kernaussagen des Präsidenten: Das Urteil zeige, dass niemand über dem Gesetz stehen dürfe. Und man müsse jetzt noch mehr tun, um die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass sich Tragödien wie diese wiederholen.
Eine Geschworenenjury hatte nach zweitägigen Beratungen den 45-jährigen Cop in allen drei Anklagepunkten des Mordes zweiten und dritten Grades sowie des Totschlags für schuldig befunden. Chauvin, dessen Strafmaß in acht Wochen verkündet werden soll und der das Urteil regungslos hinnahm, drohen nun bis zu 40 Jahre Haft. Das Gericht widerrief sofort seine Freilassung auf Kaution. Rechtsexperten weisen allerdings darauf hin, dass selbst bei einer Maximalstrafe der Ex-Beamte als Ersttäter schon nach zwölf bis 13 Jahren mit einer Entlassung rechnen könne.
Biden nannte den Tod des unbewaffneten Floyd, dessen Hals unter dem Knie von Chauvin für mehr als neun Minuten fixiert worden war, einen „Mord in vollem Tageslicht“, der es der ganzen Welt ermöglicht habe, „systemischen Rassismus“ zu sehen. Dieser sei ein „Schandfleck auf der Seele der Nation“. Man müsse deshalb Rassismus und Ungleichheiten, die in der Polizeiarbeit existierten, „frontal“ angehen.
Die Ermittlungen gegen Chauvin und drei weitere Cops, denen wegen „Beihilfe zum Mord“ der Prozess gemacht werden soll, und der Verlauf des Strafverfahrens hatten allerdings keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass das Quartett – drei Weiße und ein US-Bürger asiatischer Herkunft – aus rassistischen Motiven gehandelt hatten. Auch ist keiner von ihnen eines „Hass-Verbrechens“ angeklagt worden, was bei entsprechenden Indizien für das US-Justizministerium eine Option gewesen wäre. Zeugenvernehmungen hatten vielmehr ergeben, dass es sich um einen Fall extremer Polizei-Brutalität handelte, die nicht durch Dienstvorschriften abgedeckt war. Floyd hatte immer wieder betont, er könne nicht atmen.
Die Sicherheitsbehörden hatten sich für den (wenig wahrscheinlichen) Fall eines Freispruchs auf Massenproteste, Ausschreitungen und Plünderungen vorbereitet. Nach dem Schuldspruch blieb die Lage ruhig. Wartende vor dem Gericht brachen vielmehr in Jubel und Tränen aus. Die Familie Floyds und seine Anwälte sprachen von einem „Wendepunkt in der Geschichte“.
Das US-Repräsentantenhaus hatte letzten Monat mit Mehrheit der Demokraten den sogenannten „George Floyd Justice in Policing Act“ verabschiedet, der allerdings noch im Senat abgesegnet werden muss. Dort droht massiver Widerstand der Republikaner. Das Gesetz würde im Erfolgsfall auf Ebene der Bundespolizei bestimmte Würgegriffe ebenso verbieten wie ein Aufbrechen von Haustüren bei Durchsuchungen, ohne dass sich Beamte zuvor als Cops identifizieren. Auch würden sich Polizisten nicht mehr wie bisher üblich auf Immunität bei Zivilklagen berufen können. Zudem ist ein Zentralregister geplant, das Vorwürfe von Fehlverhalten durch die Polizei festhalten soll.