Biden hat die Normalität zurückgeholt

von Redaktion

VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

Washington – Wenn Joe Biden morgen mit einer „Drive In“-Veranstaltung für seine Anhänger in Atlanta (Georgia) seinen 100. Arbeitstag als US-Präsident begeht, hat er allen Grund zur Zufriedenheit. Seine Taktik, sich so selten wie möglich Medien und der Öffentlichkeit zu stellen und sich stattdessen ganz auf politische Initiativen und Exekutiv-Anordnungen zu konzentrieren, mit denen er Verfügungen seines Vorgängers Donald Trump revidierte, hat sich ausgezahlt.

In Umfragen liegt seine Zustimmungsquote momentan bei 54 Prozent –- deutlich besser als jene 40 Prozent, mit denen Trump nach seinen ersten 100 Tagen aufwarten konnte. Das bedeutet: Auch ein Teil der Republikaner kann sich mit seiner Arbeit identifizieren. Ein Blick auf die wichtigsten Themenfelder zeigt, warum Biden derzeit mehr Plus- als Minus-Noten für den Start in seine vierjährige Amtsperiode erhält.

Die Covid-19-Krise: Unter Biden hat sich die Zahl der täglichen Impfungen auf derzeit mehr als drei Millionen Dosen verdreifacht. Gleichzeitig verharmlost der Präsident – anders als Trump – die Pandemie nicht, sondern trägt eine Maske bei fast allen Auftritten, die ihn in Menschennähe bringen. Die große Herausforderung für Biden lautet aber jetzt: Die sich abzeichnende Impfmüdigkeit zu kontern. Vielerorts werden überschüssige Dosen gemeldet. Vor allem junge Menschen sowie Angehörige von Minderheiten zeigen sich impf-skeptisch. 52 Prozent aller Bürger haben mittlerweile mindestens eine Dosis erhalten.

Wirtschafts- und Konjunkturpolitik: Für Trump waren der wichtigste Gradmesser für eine erfolgreiche Politik die Börsenkurse an der Wall Street. Legt Biden diesen Maßstab an, kann er extrem zufrieden sein: Unter ihm haben sich die meisten Aktienwerte verbessert. Dazu beigetragen haben auch das Förderpaket des Demokraten und die Sonderzahlungen an die meisten Bürger, die nach längerem politischen Ringen dann schnell auf den Konten landeten. Die sich erholende Konjunktur weiter anfeuern soll nun auch der ehrgeizige Infrastrukturplan.

Klimapolitik: Biden schaffte es, beim soeben beendeten Klimagipfel auch China und Russland an den virtuellen Beratungstisch zu bringen. Zudem will er die heimischen Schadstoff-Emissionen von ihren Werten im Jahr 2005 bis 2030 um 50 Prozent reduzieren. Auch sind die USA seit dem ersten Arbeitstag Bidens wieder ein Mitglied der Pariser Klimaverträge.

Außenpolitik: Die Beziehungen der USA zu den europäischen Alliierten erleben nach Trump, der gerne lästerte und sogar mit dem Ende der Nato liebäugelte, eine Renaissance. Die Truppen in Afghanistan kommen endlich nach Hause. Und anders als Trump ist Biden nicht scheu, Kritik bei Menschenrechtsverletzungen zu üben. Putin bezeichnete er als Mörder. Und seine jüngste „Genozid“-Einstufung des Massenmordes an Armeniern dürfte den türkischen Herrscher Erdogan nicht gerade erfreut haben. Biden hilft bei seinen Strategien auch die langjährige Erfahrung als außenpolitischer Experte im US-Senat.

Innere Sicherheit: Am Phänomen der Massen-Schießereien dürfte sich Biden trotz einiger Exekutiv-Anordnungen die Zähne ausbeißen. Seine Verfügungen streifen das große Problem nur ganz am Rand: In den USA liegen bereits 390 Millionen Waffen in den Haushalten. Solange diese Zahl nicht deutlich reduziert wird, dürften die meisten neuen Beschlüsse wie ein Verbot von Waffen ohne Seriennummern nur politische Kosmetik sein.

Rassenkonflikte: Biden hat sich beim brisanten Thema der Tötungen von Minderheiten durch die Polizei auf einen umstrittenen Pfad begeben. Das Weiße Haus hat sowohl den Fall Floyd als auch frische Fälle schnell unter die Rubrik „systemischer Rassismus“ eingeordnet – darunter auch den Todesschuss eines weißen Polizisten auf eine 16-jährige schwarze Messerstecherin in Ohio. Dass der Cop dabei zwei farbigen Frauen das Leben rettete, thematisierte Biden nicht.

Die gespaltene US-Gesellschaft: Anders als zur polarisierenden Trump-Twitter-Zeit ist unter Biden Normalität eingekehrt – ein zivilerer Umgangston. Der Präsident scheint, von einem erfahrenen Stab bislang gut beraten, kein Interesse an öffentlichen Wortgefechten zu haben.

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