München – Die Begeisterung von Markus Söder für Umfragen war vor ein paar Tagen außerordentlich hoch. Keinesfalls dürfe man sie ignorieren, sagte er in einem Interview, „weil nach meiner gesamten Lebenserfahrung Umfragen zumindest Tendenzen zeigen. Darauf sollte man achten.“ Im nächsten Interview sagte er, „Umfragen sind nicht alles. Aber sie sind ein deutlicher Maßstab“. Und im übernächsten: „Umfragen speisen sich ja nicht aus Zufallsergebnissen. Sie sind eine Sammlung von Projektionen: Was erwarten und wem vertrauen die Menschen?“
Söder meinte seine Umfragewerte zur K-Frage: Da lag und liegt er meilenweit vor CDU-Chef Armin Laschet. Nun kommt jedoch eine Umfrage, die der CSU weniger genehm ist und die sie plötzlich stiller begleitet. In einer Insa-Erhebung für „Bild“ sackt die CSU auf 36 Prozent ab. Es sind die Werte für die Landtagswahl, also nicht die für einen Kanzlerkandidaten Laschet. 36 Prozent liegen sogar noch unter den 37,2, die Söder bei seiner historisch mauen Wahl 2018 einfuhr, und Welten hinter Stoiber (60,7), Beckstein (43,4) und Seehofer (47,7). Und vor allem rangiert die CSU zehn Prozentpunkte unter dem Wert der gleichen Erhebung im Januar.
Wird bei 40 minus X die CSU nervös? Auch wenn die Wahl erst 2023 ist? Generalsekretär Markus Blume muss in so einer unschönen Lage ran, er verweist vollumfänglich auf Berlin. „Das Ergebnis ist Ausdruck der großen Enttäuschung der Bayern über den Ausgang der Kandidaten-Entscheidung“, sagt er. Vom „Bundestrend“ müsse man sich abkoppeln. Den Namen Laschet sagt Blume nicht, aber: „Die Union ist halt eine Schicksalsgemeinschaft.“
Der frühere CSU-Chef Erwin Huber warnt, die „36“ sei „eine Mahnung zum Zusammenhalt von CDU und CSU“ und der Aufruf, schnell ein Zukunftsprogramm und eine Kernmannschaft vorzustellen. „Unsere Wähler wollen Stabilität, das ist oberstes Gebot“, sagt Huber. Und: „Koalitionsspekulationen sind Gift für die Mobilisierung.“
Das ist ein Wink an Söder, der als Schwarz-Grün-Anhänger im Bund wahrgenommen wurde, während Laschet eine Regierung mit der FDP anstrebt. Tatsächlich schlägt Söder am Mittwoch in einer Runde mit Berliner Journalisten erstmals andere Töne an, stellt sich an Laschets Seite und kritisiert die zuvor umgarnten Grünen scharf.
Auffällig sind auch die anderen Werte (Fehlertoleranz: 2,6). Die Grünen schießen auf 24 Prozent hoch. SPD, Freie Wähler und AfD liegen gleichauf bei neun Prozent, die FDP steigt auf sieben. Wer zusammenzählt, staunt: Söders aktuelle Regierung mit den Freien Wählern wäre ohne Mehrheit. Eine Koalition mit den Grünen, inhaltlich bei Corona durchaus denkbar, wäre noch klar über 50. Aber auch ein Viererbündnis gegen die CSU: Grüne, SPD, Freie Wähler und FDP.
„Umfragen sind immer Momentaufnahmen – das gilt diesmal in besonderem Maße“, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch mit Blick auf die turbulenten Wochen. Da seien die Ausschläge eben höher. „Ich würde das nicht überbewerten“, sagt Münch. Der Streit Söder/Laschet sei nur ein Faktor. Vor allem aber zeige die aktuelle Aufbruchstimmung bei den Grünen Wirkung. Das könne sich auch wieder ändern. Etwas nachhaltiger könnte der Aufschwung der FDP sein: „Inzwischen bekommen immer mehr Menschen mit, dass die kleine FDP-Fraktion mit ihrem Vorsitzenden Martin Hagen eine bemerkenswerte Präsenz hat“, sagt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.
Die Grünen jedenfalls treibt der Erfolg zu lyrischen Anwandlungen. „Die Menschen im Land trauen uns Grünen zu, zugleich verlässlicher Stabilitätsanker und zielstrebige Navigatoren im Meer der Herausforderungen zu sein“, sagt Fraktionschef Ludwig Hartmann und zählt auf: Klimaschutz, Umbau der Wirtschaft, Stärkung demokratischer Werte, eine digitalere und von der Bürgerin her denkende Verwaltung.