„Aufbruch“ mit klammer Kasse

von Redaktion

VON HENNING OTTE

Stuttgart – Sieben Wochen nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg haben sich Grüne und CDU auf eine Neuauflage geeinigt. Die grün-schwarze Koalition unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann will den Südwesten zum „Klimaschutzland“ machen. „Wir haben uns in allen Kernbereichen geeinigt“, frohlockt Kretschmann. Es sei ein „echter Aufbruch“. Kleiner Haken daran: Der coronabedingte Geldmangel in der Landeskasse erschwert den Start.

Alle kostspieligen Vorhaben etwa im Klimaschutz, beim Ausbau des schnellen Internets oder mehr Polizei- und Lehrerstellen werden mit einem Haushaltsvorbehalt versehen. Kretschmann beteuert, die erneuerbaren Energien könne das Land auch so voranbringen, etwa über die Solarpflicht bei Neubauten oder ein Planungsrecht für mehr Windräder.

Die FDP wittert bereits eine „Koalition der ungedeckten Schecks“. Am Mittwoch wollen die Spitzen von Grünen und CDU den Koalitionsvertrag vorstellen, nächsten Samstag stimmen Parteitage darüber ab. Kretschmann will am 12. Mai in seine dritte Amtszeit starten.

Der 72 Jahre alte wertkonservative Politiker hatte sich vehement für eine Wiederauflage der Koalition mit der vom Wähler gestutzten CDU stark gemacht. Dabei gab es in den Reihen der Grünen viele Stimmen für eine Ampel-Koalition mit SPD/FDP.

Die CDU um Landeschef und Bundesvize Thomas Strobl machte tiefe Zugeständnisse – knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl erschien das als bessere Alternative zum Gang in die Opposition. Nun gibt sie nach beim Klimaschutz, in der Asyl- und Verkehrspolitik sowie beim Wahlrecht. Die CDU stimmt für eine Lkw-Maut auf Landes- und Kommunalstraßen. Verzichten muss die CDU auf teure Kernpunkte ihrer Familienpolitik. Das Familiengeld, eine Art zusätzliches Kindergeld, das nur in Baden-Württemberg und unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden sollte, blieb auf der Strecke. Das gleiche Schicksal erlitten das Baukindergeld und die anvisierte Senkung der Grunderwerbsteuer, allesamt in Bayern gut bekannte Punkte.

Innenminister Strobl sprach trotzdem von einer „Koalition, die ihrer Zeit voraus sein will“. Kretschmann schloss derweil nicht aus, ein weiteres Ministerium zu schaffen. „Möglich ist alles“, sagte der Grüne. Ein weiteres Ressort belaste den Haushalt nicht besonders. Auf diese Weise könnten die Grünen sechs Fachministerien besetzen und die CDU fünf. Ansonsten hätte es ein Verhältnis von 6:4 gegeben.

Grüne und CDU einigten sich wegen des finanziellen Engpasses im Haushalt auf einen Stufenplan. Erste Priorität hat das Sofortprogramm, mit dem die Corona-Folgen für Schulen, Kunst und Kultur sowie den Einzelhandel in den Innenstädten abgefedert werden sollen. Das genaue Volumen solle erst nach der Regierungsbildung und der Steuerschätzung am 12. Mai festgelegt werden. Das Paket soll dem Vernehmen nach knapp 100 Millionen Euro schwer sein.

Die Zeiten des „fröhlichen Geldausgebens“ seien ansonsten vorbei, hieß es in Grünen-Kreisen. Nach den jüngsten Prognosen fehlen in den nächsten drei Jahren jeweils etwa vier Milliarden Euro. Deshalb wollen Grüne und CDU in einem weiteren Schritt im Laufe des Jahres vor allem ordnungspolitische Maßnahmen angehen, die zunächst kaum Geld kosten. Dazu zählt ein Gesetz, dass Kommunen eine Nahverkehrsabgabe einführen können. Sie können dann entscheiden, ob sie alle Einwohner oder nur die Autofahrer zur Kasse bitten, um das Angebot von Bussen und Bahnen ausbauen zu können.

Daneben sollen die Arbeiten an der Reform des Wahlrechts beginnen. Es soll ähnlich wie im Bund ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht geben. Auch in Bayern gibt es zwei Stimmen bei der Landtagswahl. Grüne und CDU wollen außerdem ein Antidiskriminierungsgesetz für Baden-Württemberg aufsetzen. Es soll Benachteiligungen wegen der Hautfarbe und anderer Merkmale verhindern. Strobl hatte es einst als „Umkehrung des Rechtsstaats“ gebrandmarkt.

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