Ein Weg zu mehr Impfstoff – oder nicht?

von Redaktion

Die US-Regierung fordert, die Patente auf Corona-Vakzine auszusetzen – der Widerstand ist groß

München – Es ist ein beispielloser Vorstoß: Um auch ärmere Länder schneller mit Corona-Impfstoffen zu versorgen, fordert die US-Regierung, die Patente auf die begehrten Mittel auszusetzen. Die Krise erfordere außerordentliche Schritte, sagte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai. Indien und Südafrika hatten das schon 2020 angeregt, blieben aber ungehört. Das hat sich nach dem Schwenk in Washington geändert.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte gestern, man sei „bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht“. Russlands Präsident Wladimir Putin zeigte sich offen, sein französischer Kollege Emmanuel Macron ebenso. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ spricht von einem „Durchbruch, um die Pandemie weltweit zu stoppen“. Und auch in der Bundesregierung gibt es Sympathien – wenn auch offenbar nicht im Kanzleramt.

Der Gedanke klingt logisch: Würden die Patente ausgesetzt, könnten Unternehmen weltweit die Vakzine herstellen, ohne teure Lizenzgebühren zu zahlen. Das wäre nicht nur eine Hilfe für ärmere Länder, sondern würde auch den reichen Westen vor der Rückkehr gefährlicher Mutationen schützen. Von beidem ist man derzeit weit entfernt: In den Industriestaaten hat laut UN jeder vierte Bürger eine Impfung bekommen, in ärmeren Ländern nur einer von 500 (Stand Anfang April).

Darüber, dass es global mehr Impfstoff braucht, besteht also Einigkeit. Ob die Freigabe von Patenten ein geeigneter Weg ist, ist aber umstritten. „Das ist keine Lösung“, sagte etwa der Gründer des Mainzer Unternehmens Biontech, Ugur Sahin – denn schon die Herstellung sei hoch kompliziert.

Die großen Pharmafirmen laufen Sturm gegen die Idee. Eine Sprecherin des US-Herstellers Pfizer, der das Biontech-Vakzin produziert, sagte der „New York Times“, für das Mittel brauche es 280 Komponenten von 86 Zulieferern aus 19 Ländern. Weltweit wären wohl nur wenige Hersteller fähig, kurzfristig die Voraussetzungen für die Produktion zu schaffen.

Experten halten die Patent-Freigabe auch aus einem anderen Grund für falsch. „Hunderte Unternehmen haben viele Milliarden Euro in Forschung investiert, nur wenige waren erfolgreich“, sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, dem „Spiegel“. Forschung müsse sich am Ende auch lohnen, schon die jetzigen Gedankenspiele wirkten demotivierend. „Jetzt besteht die Gefahr, dass die Industrie ihre Forschungsausgaben zurückfährt.“ Die Gegenseite betont indes, die Forschung sei mit viel Steuergeld unterstützt worden und müsse nun etwas zurückgeben.

In der Bundesregierung schien das Bild zunächst gespalten. Während Außenminister Heiko Maas die Diskussion gerne führen will, äußerte sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) skeptisch. Am Abend gab es dann noch ein offizielles Statement:. „Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben“, teilte eine Regierungssprecherin mit. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) scheint also ebenfalls kein Fan der Idee zu sein.

Die zentrale Frage ist aber, ob die Forderung überhaupt durchsetzbar ist. Der Schutz geistigen Eigentums ist im TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation geregelt. Einer Änderung müssten 164 Länder zustimmen. mmä/dpa

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