München – Der Ministerpräsident war sehr euphorisch. Er werde weitere Behörden aufs Land verlagern, „wir müssen die zweite Stufe der Rakete zünden“, sagte Markus Söder. 14 Monate ist diese schwungvolle Ankündigung her. Nun – sollte irgendwo eine Rakete unterwegs sein, hat sie ein Zündproblem. Die zweite Stufe klemmt. Und noch ist nicht so klar, ob die Rakete kontrolliert landet.
Weniger bildhaft gesprochen: Aus mehreren Gründen stockt der Plan, aus dem dichten, reichen München Beamtenstellen aufs Land zu verlagern. Söder hatte bei der CSU-Klausur 2020 in Kloster Seeon umfangreich und für Freund, Feind und Koalitionspartner überraschend angekündigt, diese Strategie seines Vorgängers Seehofer fortzuführen – ja, zu beschleunigen. 3100 Behördenposten, inklusive 400 Studienplätze, sollten aus München abwandern. Das Landesamt für Finanzen nach Weiden; der Verwaltungsgerichtshof nach Ansbach; das Grundsteuerfinanzamt nach Zwiesel; ein Teil des Landesamts für Gesundheit nach Bad Kissingen.
Mehrere Projekte aus der langen Liste sind angepackt. So hat das Bauministerium eine Außenstelle in Augsburg bekommen. Dafür mag man sich momentan aber nicht zu laut feiern, denn bei den Immobilien-Geschäften hatte nach Medienberichten armtief der langjährige CSU-Abgeordnete Alfred Sauter seine Finger im Spiel; die CSU bemüht sich neuerdings sehr, Sauter zu vergessen.
Bei einem viel kleineren Projekt gibt es dafür heftigen Streit. Die Freien Wähler blockieren Söders Versprechen, das Verwaltungsgericht von Regensburg in den Landkreis Freyung-Grafenau zu ziehen. Ein paar pendelnde Richter helfen der Region kaum, heißt es aus FW-Kreisen. Vor Ort in den niederbayerischen Lokalzeitungen führt das zu teils groben Beschimpfungen und Lügen-Vorwürfen zwischen CSU und FW, bis hinauf zu Bundesministern.
Das ist schon ein großer Streit für einen kleinen Teil der Reform. Bestimmt gibt es viele lokale und strukturelle Gründe für das FW-Veto. Politisch ist ein Motiv logischer: ein Tritt mit Schwung an Söders Schienbein. Als der Ministerpräsident 2020 seine Behördenreform verkündete, Stichwort Rakete, hatte er den Koalitionspartner nämlich nicht beteiligt. Eine halbe Stunde vorher erst soll Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger informiert – nicht: gefragt – worden sein.
Söder regiert oft so, er steht am Ende ja auch selbst in der Hauptverantwortung. „Ein grundlegender Strickfehler“, sagt indes FW-Fraktionschef Florian Streibl. Bei anderen umstrittenen Details der Umzüge hat man sich inzwischen geeinigt. Am Dienstag soll sich das Kabinett damit befassen, berichten Eingeweihte. Der VGH zieht nach Ansbach, behält aber seinen Sitz und mindestens 13 der 24 Senate in München.
Stillschweigend wird nach Informationen unserer Zeitung Söders sehr schlagzeilenträchtiger Plan beerdigt, aus der Stadt München einen achten Regierungsbezirk zu bilden. „Da machen wir nicht mit“, sagt Streibl knapp. Eine Prüfung der Juristen ergab: Es wäre eh eine Verfassungsänderung dafür nötig, also zwei Drittel des Landtags und/oder ein Volksentscheid.
Tatsächlich ins Rollen kommen soll das größte Projekt: Die Regierung von Oberbayern zieht in Teilen mit je 500 Stellen Richtung Rosenheim und in den Raum Ingolstadt. Der Plan ruhte während der Hochphase von Corona. Da hatte die Regierung wahrlich dringendere Sorgen: die Nothilfen prüfen und auszahlen.
Vor einigen Tagen hat eine Arbeitsgruppe von Innenministerium und Regierung von Oberbayern die Planung begonnen. „Bis Jahresende hoffen wir auf konkrete Vorschläge, welche Stellen verlagert werden“, sagt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf Nachfrage. Es bleibe aber dabei: „Keiner wird gegen seinen Willen versetzt. Wir gehen das mit Bedacht an.“ Herrmann nennt einen Horizont von zehn Jahren.
Die Rakete ist also noch ein Weilchen unterwegs.