Madrid – „Wie eine Autobahn auf dem Meer“ – so beschrieb die spanische Zeitung „El País“ die teils dramatischen Bilder tausender Menschen aus Marokko, die im Mittelmeer Richtung Ceuta schwammen. Rund 8000 , darunter etwa 2000 Minderjährige, schafften es binnen 24 Stunden, die spanische Nordafrika-Exklave und damit faktisch die EU zu erreichen. Wie ein Lauffeuer hatte sich am Montag die Nachricht verbreitet, dass die marokkanischen Grenzwächter plötzlich niemanden mehr aufhielten. Und das war nach allgemeiner Einschätzung kein Zufall – sondern eine Art Repressalie von Rabat.
Madrid zögerte lange, die Regierung Marokkos zu kritisieren. Doch nach zirka 24 Stunden zitierte Außenministerin Arancha González Laya die marokkanische Botschafterin, um ihr „den Unmut und die Ablehnung“ der Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez zu übermitteln.
Zuvor hatte Sánchez jede Kritik an Marokko vermieden und betont, Rabat sei ein „Partner und Freund“ Spaniens. Der sozialistische Politiker landete unterdessen per Hubschrauber am späten Nachmittag in Ceuta, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Die Situation sei dort inzwischen „viel ruhiger“ berichtete eine Reporterin des staatlichen spanischen Fernsehsenders RTVE.
Doch was war der Grund für die Aussetzung der Kontrollen durch die marokkanischen Behörden? Im Zentrum des Streits steht die Westsahara an der nordafrikanischen Atlantikküste, bis 1975 spanische Kolonie. Marokko beansprucht große Teile des dünn besiedelten Gebiets, was international jedoch nur einige Staaten – darunter die USA – unterstützen. Die Befreiungsfront Polisario wiederum kämpft für die Unabhängigkeit der Westsahara. Rabat sei erzürnt, heißt es, weil Polisario-Chef Brahim Ghali seit April in einem spanischen Krankenhaus behandelt wird. Rabat sieht in ihm einen Kriegsverbrecher und fordert seine Festnahme.
Marokkos Botschafterin Karima Benyaich tat derweil nicht viel, um den Verdacht einer Vergeltungsaktion zu widerlegen. Kurz vor ihrem Gespräch mit González Laya sagte sie vor Journalisten, in den Beziehungen zwischen den Ländern gebe es Handlungen, „die Konsequenzen haben“.
EU-Ratspräsident Charles Michel sagte Spanien unterdessen die „volle Solidarität“ Brüssels zu. „Die Grenzen Spaniens sind die Grenzen der Europäischen Union. Zusammenarbeit, Vertrauen und gemeinsame Verpflichtungen sollten die Grundsätze einer engen Beziehung zwischen der EU und Marokko sein“, erklärte Michel.
Nicht nur Spanien hat Ärger mit Marokko. Das Verhältnis Deutschlands zu Rabat ist wegen der Westsahara angespannt. Auslöser war Berlins Kritik an der Entscheidung der früheren US-Regierung unter Präsident Donald Trump, Marokkos Souveränität über das Gebiet anzuerkennen.
Die Behörden Ceutas mit rund 85 000 Einwohnern wurden von der schieren Menge der Ankommenden völlig überwältigt. Am Dienstag begann das spanische Militär, die Migranten einzeln und in kleinen Gruppen durch eine kleine Tür im Grenzzaun zurück nach Marokko zu schicken.