Das lange Warten auf die Polizeireform

von Redaktion

Ein Jahr nach der Ermordung George Floyds gibt es weitere tödliche Vorfälle – Biden trifft Hinterbliebene

Washington – Als gestern US-Präsident Joe Biden die Familie des getöteten Afro-Amerikaners George Floyd im Weißen Haus empfing, rückten jene Bilder wieder in den Vordergrund, die vor einem Jahr weit über die USA hinaus die Menschen erschüttert hatten. Floyd fleht in Polizeigewalt immer wieder um sein Leben. „Ich kann nicht atmen“, bettelt er in Minneapolis die vier Cops an, von denen einer, Derek Chauvin, sein Knie auf Floyds Hals drückt. Inzwischen ist Chauvin von einem Gericht des Mordes zweiten Grades schuldig gesprochen worden.

Was hat sich seit der Tötung Floyds verändert? Zunächst einmal zeigen Zahlen eine ernüchternde Realität: Rund 1200 Personen sind in den letzten 12 Monaten öffentlichen Datenbanken zufolge durch Polizeieinsätze ums Leben gekommen – eine Zahl, die in etwa dem statistischen Durchschnitt für die jährlich durch Cops getöteten Menschen entspricht. Das heißt: Trotz der enormen Negativ-Schlagzeilen und der verstärkt geführten Debatte zum Verhalten der Ordnungshüter greifen diese scheinbar unbeirrt weiter zur Dienstwaffe. Knapp die Hälfte aller Getöteten waren Weiße. Schwarze machten rund 27 Prozent der Polizei-Opfer aus, obwohl sie nur 13 Prozent der Gesamtbevölkerung darstellen. Bürger lateinamerikanischer Herkunft folgen mit 21 Prozent, ihr Bevölkerungsanteil beträgt 17 Prozent. Während der Tod von Schwarzen und Latinos in der Regel durch Bürgerrechtsbewegungen und Medien kritisch hinterfragt wird, bleibt eine solche Diskussion bei weißen Opfern oft aus.

In der Debatte über den täglichen Tod durch Polizistenhand fällt aber auch ein weiterer Aspekt oft unter den Tisch. Der überwiegende Teil der Opfer war bei der Konfrontation mit den Cops bewaffnet – laut FBI-Statistiken aus früheren Jahren tragen bis zu 90 Prozent aller Getöteten eine Waffe. Und in rund 100 Fällen war die Polizei aufgrund mentaler Probleme der später getöteten Personen zum Einsatzort gerufen worden und sah sich dann mit irrationalem Verhalten und Aggressionen konfrontiert. Das hat mittlerweile dazu geführt, dass einige US-Metropolen auch Sozialarbeiter oder Psychologen zu derartigen Einsätzen schicken. Manche Experten warnen jedoch in diesem Zusammenhang vor einer Gefährdung dieser Helfer, da durchschnittlich jeder Haushalt in den Vereinigten Staaten über mindestens eine Schusswaffe verfügt. Dennoch setzen Kommunalpolitiker in ihren Reformprogrammen weiter auf den verstärkten Gebrauch von Therapeuten außerhalb des Sicherheits-Apparates – und leiten dafür Finanzmittel aus dem Polizeibudget um.

Das US-Repräsentantenhaus hat im März dieses Jahres auch ein nach George Floyd benanntes und von Biden gefördertes Reformpaket verabschiedet, dem allerdings noch der Senat zustimmen muss. Es sieht unter anderem für alle Polizeieinsätze mit Todesfolge und für Fälle von Cop-Fehlverhalten einen Eintrag in eine neu zu schaffende staatliche Bundes-Datenbank vor. Dies soll auch verhindern, dass sich gefeuerte Beamte in anderen Polizeidirektionen neu anstellen lassen können, weil dort ihre Sünden nicht bekannt sind. Auch würden bestimmte Polizeipraktiken wie Würgegriffe oder der Druck auf die Halsschlagader landesweit verboten. Überarbeitet werden soll auch eine bisher geltende Immunität für die meisten Cop-Aktivitäten. Alle Änderungen würden lediglich für Polizisten unter Bundesaufsicht gelten, also unter anderem auch für das FBI.

Der US-Präsident mahnte durch seine Sprecherin Jen Psaki noch einmal die Volksvertreter, hier zu einer überparteilichen Einigung zu kommen. Eigentlich sollte das Gesetz bis gestern – dem Todestag Floyds – in trockenen Tüchern sein. Doch angesichts der erheblichen politischen Differenzen zwischen Demokraten und Republikanern bleibt dem Weißen Haus nur das Prinzip Hoffnung. FRIEDEMANN DIEDERICHS

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