Istanbul – Der Mafiaboss sitzt im Konferenzraum eines Hotels, sein schwarzes Hemd ist aufgeknöpft, eine Goldkette schimmert vor seiner Brust. Millionen Türken schauen gebannt auf diesen Mann, wenn er wieder ein neues Youtube-Video veröffentlicht. Sedat Peker, vorbestraft wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und im Exil in Dubai vermutet, hat seit Anfang Mai sieben Videos – oder „Folgen“, wie er sie nennt – veröffentlicht. Darin erhebt er schwere Vorwürfe gegen das Umfeld des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er unterstellt Politikern und ihren Verwandten Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Es geht etwa um angeblichen Drogenhandel und ungeklärte Morde.
Peker ist eine schillernde Figur und trat in der Vergangenheit als besonders martialischer Unterstützer Erdogans auf. Im Jahr 2016 drohte er etwa regierungskritischen Akademikern, er werde in ihrem Blut baden. Erdogan selbst hat Peker in seinen Videos bislang nicht angegriffen, er nennt ihn sogar „Tayyip abi“ – seinen „Bruder“. Die Veröffentlichungen, so sehen es Beobachter, deuten auf innenpolitische Machtkämpfe hin, sie werden aber auch zunehmend zu einem Problem für den Präsidenten.
Seine Hauptangriffe richtet Peker gegen Innenminister Süleyman Soylu, den er spöttisch den „schmucken Süleyman“ oder „Sülo“ nennt – und gegen Mehmet Agar, der in den 90er Jahren zuerst Polizeichef und dann Innenminister war und der Regierung nahesteht. „Mit einem Stativ und einer Kamera werdet ihr besiegt werden“, verkündet Peker großspurig. Besonders explosive Anschuldigungen erhob Peker in seinem siebten Video vom Sonntag. Darin warf er dem Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten und Erdogan-Vertrauten Binali Yildirim Verwicklungen in den internationalen Drogenschmuggel vor – der Ex-Premier wies das entschieden zurück. Dem früheren Innenminister Agar unterstellte Peker, in die bis heute ungeklärten Morde an dem türkischen Journalisten Ugur Mumcu und dem türkisch-zypriotischen Autor Kutlu Adali in den 90er-Jahren verwickelt zu sein.
Die Vorwürfe Pekers wecken in der türkischen Bevölkerung Erinnerungen an den sogenannten Susurluk-Skandal und den „tiefen Staat“: In Folge eines Verkehrsunfalls waren 1996 Verbindungen zwischen dem rechtsextremen Untergrund und dem Staatsapparat bekannt geworden. Bei dem Unfall in der Nähe der Stadt Susurluk waren ein hoher Polizeibeamter und ein unter Mordverdacht stehender türkischer Rechtsextremer ums Leben gekommen. Agar trat damals wegen mutmaßlicher Verwicklung in den Skandal vom Amt des Innenministers zurück.
Erdogan hielt sich lange zurück, stellte sich am Mittwoch dann aber deutlich hinter seinen Innenminister und verteidigte auch den Ex-Premier. Man stehe auf Soylus Seite und werde es auch bleiben, sagte Erdogan. Soylu, der im Publikum saß, nickte dem Präsidenten daraufhin zu. Erdogan betonte erneut, dass seine Regierung, die seit 2002 an der Macht ist, schon in der Vergangenheit erfolgreich gegen organisierte Kriminalität und Drogenschmuggel vorgegangen sei. Tatsächlich griffen die Behörden im April auch gegen mutmaßliche Mitglieder der Bande Pekers durch.
Der Mafiaboss suggeriert nun mit seinen Aussagen, dass die Verquickung von Unterwelt und Politik nach wie vor existiere. Innenminister Soylu habe ihn lange geschützt und auch vor Ermittlungen gewarnt, erzählt Peker etwa. Nicht zuletzt habe er sich auf Soylus Tipp hin ins Ausland abgesetzt.
MIRJAM SCHMITT