Italien trinkt wieder Caffè an der Bar

von Redaktion

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom – Italien kehrt Schritt für Schritt zur Normalität und alten Ritualen zurück. Als das Telefon klingelt, ruht Mary Cipollini gerade aus. Es ist Nachmittag in Codogno, der Stadt in der Lombardei, in der die Corona-Pandemie im Februar 2020 in Italien entdeckt wurde. Cipollini hat einen anstrengenden Morgen in der Bar Centrale von Codogno hinter sich. Seit Dienstag dürfen die Italiener wieder am Tresen in der Bar ihren Caffè trinken, das war wegen der Corona-Auflagen bislang verboten. „Es waren richtig viele Leute da“, erzählt die Betreiberin. „Alle haben sich gefreut, endlich kommt das normale Leben zurück!“

Das normale Leben hat in Italien viel mit dem morgendlichen Kaffee-Ritual in der Bar zu tun. Überall im Land strömten die Menschen in die Etablissements, um endlich wieder wie früher „un caffè“, einen Espresso an der Bar trinken zu können. In Rom in der bekannten „Bar Tazza d’Oro“ am Pantheon genauso wie in Mailand in der „Bar Magenta“. Der nur im Ausnahmezustand akzeptierte Pappbecher zum Mitnehmen der Heißgetränke hat ausgedient. Italien atmet auf. Etwa 200 000 Läden soll es in ganz Italien geben, die Kaffee verkaufen. „Sie sind Spender von Sozialleben und vielleicht, wer weiß, Glück“, schrieb der „Corriere della Sera“ am Dienstag.

Der 1. Juni 2021 ist ein Meilenstein. Das Land des Kaffeegenusses und des kurzen Schwatzes am Tresen, über Fußball, Politik oder den jüngsten Nachbarschaftsstreit, hat wieder fast unbeschränkten Zugang zu einem der bedeutendsten Orte seines Soziallebens, der Bar. Immer noch gelten, eher pro forma, einige Auflagen. Sofort nach Kaffee-Genuss ist der Mund-Nasenschutz wieder aufzuziehen. Der Abstand zwischen den Kaffeetrinkern am Tresen muss offiziell einen Meter betragen.

Seit Montag gelten in drei italienischen Regionen wegen gesunkener Inzidenzwerte, auf Sardinien, in Molise und in Friaul-Julisch Venetien, nur noch geringfügige Auflagen wie Maskenpflicht und Abstandsregeln. Ab kommender Woche gelten die Lockerungen auch in Ligurien, Umbrien, Venetien und in den Abruzzen. Am 14. Juni sollen dann Emilia-Romagna, Latium, Lombardei, Piemont, Apulien und die autonome Provinz Trient folgen. Spätestens Ende des Monats werden die letzten Einschränkungen auch in den Ferienregionen Toskana, Sizilien, Südtirol, Kampanien, Marken, Basilikata, Kalabrien und Aostatal wegfallen. Auch die Sperrstunde zwischen 23 und 5 Uhr gilt dann nicht mehr.

Ab 7. Juni darf man in ganz Italien bis Mitternacht auf die Straße, ab 21. Juni gilt gar keine Sperrstunde mehr. In ganz Italien ist ab dieser Woche auch wieder der Restaurantbesuch im Inneren mit entsprechenden Abstandsregeln erlaubt. Obwohl die Fußballsaison bereits beendet ist, dürfen ab dieser Woche auch wieder Sportstadien Zuschauer empfangen. Die Regel ist, dass höchstens 25 Prozent der maximalen Zuschauerzahl den Sportereignissen in Freiluftstadien beiwohnen dürfen, allerdings sind die Obergrenze 1000 Menschen.

Für Touristen aus der EU oder den USA gilt seit Mitte Mai keine Quarantänepflicht mehr. Wer geimpft, von Corona genesen ist oder innerhalb der vergangenen 48 Stunden negativ getestet ist, muss das offiziell nachweisen und kann damit einreisen.

Mary Cipollini aus der Bar Centrale in Codogno freut sich auf den Sommer und die Touristen. „Die Impfungen gehen voran, wir kommen dem Glück näher“, sagt sie. Für die Italiener zählt dieser Tage aber die Rückkehr an den Tresen der Bars, „eine Bühne des nationalen Lebens, auf das wir allzu lange verzichten mussten“, schreibt der „Corriere“. In der Bar seien alle Italiener gleich.

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