Meilenstein oder Reförmchen?

von Redaktion

Kabinett verabschiedet eine Pflegereform – Die Meinungen darüber gehen weit auseinander

Berlin – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht von einem „beachtlichen Reformpaket“ mit einem Volumen von drei Milliarden Euro. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, meint gar, die Koalition laufe mit „Siebenmeilenstiefeln“ in die richtige Richtung. Kritiker der am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedeten Pflegereform sprechen dagegen von einem „Reförmchen“. Was stimmt?

Pflegekräfte: Vom 1. September 2022 an sollen nur noch Einrichtungen Versorgungsverträge abschließen dürfen, die nach Tarifverträgen oder mindestens in entsprechender Höhe bezahlen. Laut Spahn soll dies vor allem für Pflegekräfte in Ostdeutschland spürbare Unterschiede machen – etwa in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nannte die Reform ein Signal der Anerkennung: Sie werde 500 000 Pflegerinnen und Pflegern helfen, die bisher nicht nach Tarif bezahlt werden. Er rechne mit bis zu 300 Euro mehr im Monat.

Die Gewerkschaften forderten Nachbesserungen. „Es gibt im Gesetzentwurf keinen Mechanismus, der Gefälligkeitstarifverträge zwischen Pseudogewerkschaften und Pflegeanbietern, die weiterhin keine fairen Löhne zahlen wollen, ausschließt“, kritisierte Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Spahn baut auch darauf, dass die immense Nachfrage nach Pflegekräften eine Tarif- und Lohnspirale nach oben in Gang setzen. „Die Pflegekräfte sitzen am längeren Hebel.“

Pflegebedürftige: Heimbewohner sollen ab 1. Januar 2022 neben den Zahlungen der Pflegekasse einen neuen Zuschlag bekommen, der mit längerer Pflegedauer steigt. Der Eigenanteil für die reine Pflege soll damit im ersten Jahr im Heim um 5 Prozent sinken, im zweiten Jahr um 25 Prozent, im dritten Jahr um 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 70 Prozent. Laut Gesundheitsministerium bedeutet das nach mehr als 24 Monaten Pflege im Schnitt 410 Euro im Monat weniger, nach mehr als 36 Monaten im Schnitt 638 Euro. In der ambulanten Pflege sollen die Zahlungen der Pflegekassen um fünf Prozent erhöht werden.

Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten trägt. Der eigene Anteil für die reine Pflege liegt nun bei 831 Euro im Bundesschnitt, hinzugezählt zum Berechnen der Entlastung werden Ausbildungskosten von 80 Euro. Für Heimbewohner kommen allerdings auch noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte vor einer Überforderung der Pflegebedürftigen trotz der Entlastungen.

Finanzierung: Zur Finanzierung soll der Bund ab 2022 erstmals einen dauerhaften Zuschuss von jährlich einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung geben. „Wir sind überzeugt, dass das jetzt eine gute Grundlage ist für das, was notwendig ist“, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Krankenkassen monierten aber schon, das reiche nicht aus, und warnten vor Beitragssteigerungen. Zugleich soll der Zuschlag für Menschen ohne Kinder beim Pflegebeitrag um 0,1 Punkte auf künftig 0,35 Prozentpunkte angehoben werden. Damit steigt der Beitrag für sie von 3,3 auf 3,4 Prozent des Bruttolohns.

Pflege-Anbieter: Von privaten Altenpflege-Anbietern kam Protest. Spahn und Heil legten die Axt an die private Pflege, kritisierte der Präsident des Arbeitgeberverbandes bpa, Rainer Brüderle. Eine starre Tarifbindung nehme den Unternehmen jegliche Luft zum Atmen. Die Pläne verstießen gegen die Tarifautonomie. Dagegen nannte die Caritas die Tarifpflicht einen richtigen Weg, um Löhne zu verbessern. Es gebe aber noch zu viele Schlupflöcher. Spahn verwies darauf, dass die Pflegekassen Tariflohn-Steigerungen übernehmen. Nötig seien aber auch weiter Investitionen in Heimen. Man müsse als Unternehmen auch Gewinn machen können, aber „angemessen und nicht zulasten der Pflege“.

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