Franziskus und der Rücktrittsbrief

Ein öffentliches Geheimnis

von Redaktion

CLAUDIA MÖLLERS

„Persönlich und vertraulich“ steht über dem Brief, den Kardinal Reinhard Marx an den Heiligen Vater geschrieben hat und der ein Beben in der katholischen Kirche ausgelöst hat. Nicht allein das Rücktrittsangebot eines der einflussreichsten Kardinäle der Weltkirche hat für Turbulenzen gesorgt, vor allem die Veröffentlichung des eigentlich geheimen Schreibens, in dem Marx die Gründe für seinen Amtsverzicht darlegt, ist einzigartig.

Dass der Papst der Veröffentlichung zugestimmt, sie explizit gewollt hat, ist in der katholischen Welt eine Sensation. Wer weiß, welch ein Geheimnis sonst um kirchliche Korrespondenz gemacht wird, kann das ermessen.

Marx analysiert in dem Brief schonungslos die desaströse Lage der Kirche, das Versagen, die individuelle und institutionelle Schuld, und das schwindende Ansehen der Kirche, das an einem Tiefpunkt angelangt sei. Dass Franziskus diesen Befund öffentlich machen lässt, zeigt, wie alarmiert auch er ist. Dieser Brief ist für ihn Auftrag und Bestärkung, endlich tiefgreifende Reformen in Gang zu bringen. Mit diesem Papier und dem Rücktrittsgesuch eines wichtigen Beraters kann Franziskus gegenüber den starken Reformgegnern umfassende Änderungen rechtfertigen. Marx bietet dem Papst den Anlass, tätig werden zu müssen. Der Kardinal will sein Amt aufgeben, um Bewegung in die gelähmte Kirche zu bringen, den „toten Punkt“ zu überwinden. Ob sie es im Vier-Augen-Gespräch so geplant haben? Das bleibt ihr Geheimnis.

Claudia.Moellers@ovb.net

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