Inzidenz sinkt: Hält der Trend?

von Redaktion

VON STEFAN REICH

München – Das tiefe Rot auf den Corona-Karten ist helleren Tönen gewichen. In Niedersachsen sind erste Landkreise schon grau gefärbt. Das heißt: Hier wurde in den letzten sieben Tagen gar kein Corona-Fall mehr verzeichnet. Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz ist auf 22,9 gefallen.

Ähnlich positiv lief es bis vor Kurzem in Großbritannien. Der 30. Mai schien ein Meilenstein auf dem Weg des stark gebeutelten Königreichs heraus aus der Corona-Pandemie. Es war der erste Tag seit 14 Monaten, an dem kein Corona-Todesfall gemeldet wurde. Die Quote der voll Geimpften näherte sich 40 Prozent. Am 21. Juni sollten mit Maskenpflicht und Abstandsgebot die letzten Beschränkungen fallen.

Doch diese letzten Öffnungsschritte sind nun infrage gestellt. „Ganz zurück zur Normalität zurückkehren, ist sicher nicht im allgemeinen Interesse“, sagt der Immunologe Ravindra Gupta von der Universität Cambridge. Premierminister Boris Johnson erwägt die Verlängerung der Schutzmaßnahmen.

Schon Ende Mai hatten die Zahlen im Königreich wieder angezogen. Die vermutete Ursache: die dort mittlerweile dominate indische Corona-Mutante, die in der Termininologie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jetzt Delta-Variante heißt. Sie gilt als deutlich ansteckender als die Urform und die britische Mutante (jetzt Alpha-Variante).

Nach teils nur noch 1500 neuen Fällen am Tag im Mai, war man Anfang Juni bei 3000 und zählt jetzt über 5000 Neuinfektionen täglich. David King, Chef der Expertengruppe Independent Sage, sagt: „Dies ist der Beweis dafür, dass eine weitere Welle auf uns zukommt.“

Können die Delta-Variante und andere Mutanten den positiven Trend auch in Deutschland gefährden? Der Berliner Virologe Christian Drosten hält das Problem durch die Delta-Variante hierzulande derzeit für geringer. Es gibt wesentlich weniger Reiseverkehr aus Indien. Einreisen aus Großbritannien sind wieder beschränkt.

Wichtig sei dennoch, möglichst schnell viele Menschen voll zu impfen, sagt Drosten. Nach zwei Dosen schützen offenbar sowohl der Impfstoff von Biontech als auch das Astrazeneca-Vakzin fast genauso gut gegen die Delta-Variante wie gegen die Ur-Form des Virus. Doch die Schutzwirkung nur der Erstimpfung ist wohl zu gering, um eine Ausbreitung allein dadurch zu verhindern.

„Impfen und besonders die zweite Impfung sind essenziell für einen Schutz vor den Virus-Mutanten“, sagt auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl. Einer indischen Studie zufolge bietet auch eine durchlebte Infektion mit einer anderen Virusform keinen ausreichenden Ansteckungsschutz. Belastbare Daten zur Schwere von Verläufen fehlen noch.

Der Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen in Deutschland lag nach jüngsten Zahlen des Robert-Koch-Institutes Ende Mai nur bei 2,1 Prozent. Die Quote der Zweitimpfungen liegt in Deutschland mit 20 Prozent aber deutlich niedriger als in Großbritannien. Intensivmediziner erwarten, dass sich die Delta-Variante in den nächsten Wochen durchsetzen wird. Wenn Menschen unvorsichtig würden, könnten die Zahlen hochgehen.

Melanie Brinkmann, Virologin und Regierungsberaterin, warnt vor größeren Zusammenkünften drinnen, etwa in Fitnessstudios oder in der Innengastronomie. Drosten rät weiterhin zu Vorsicht, etwa zum Masketragen in Innenräumen. Eine vierte Welle hält SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach für denkbar. Wenn man Superspreading-Ereignisse vermeide, werde sie aber wohl nur klein ausfallen.  mit afp/dpa

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