München/Rom – Um Punkt 12 Uhr gestern Mittag veröffentlichte der vatikanische Pressesaal die mit Spannung erwartete Antwort des Papstes auf das Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx. Ein klares päpstliches „Nein“ auf die Bitte seines engen Beraters. Der Münchner Erzbischof, der liebe Bruder, soll weitermachen. Marx, der nach eigenen Worten (siehe Kasten) mit einer so schnellen Antwort nicht gerechnet hatte, zeigte sich am Nachmittag bewegt von dem Schreiben. Und kündigt sogleich Überlegungen zu Neuerungen an. Mit dem Rückenwind durch den überraschend deutlichen Brief des Papstes formuliert er: „Danach einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein.“
Am vergangenen Freitag hatte der Brief des Erzbischofs seinerseits ein Beben in der gesamten katholischen Kirche ausgelöst, denn Marx hatte sein Rücktrittsgesuch nicht nur mit eigenen Fehlern, sondern auch dem institutionellen und systemischen Versagen der Kirche in der Missbrauchs-Katastrophe begründet. Der Papst hatte den Brief bereits am 21. Mai bekommen. Er wolle erst einmal darüber nachdenken, hatte er Marx damals beschieden.
Dann ging es Schlag auf Schlag: Am 4. Juni gestattete Franziskus zunächst die Veröffentlichung des Briefes. Danach dauerte es nicht einmal eine Woche bis zur Entscheidung, die Franziskus erstaunlich offen begründet. Schluss müsse sein mit der „Vogel-Strauß-Politik“, Schluss mit dem Leugnen: „Es führt uns dazu, dass wir mit der Last leben, ,Skelette im Schrank’ zu haben.“ Für ein päpstliches Schreiben erstaunlich deutliche Worte (siehe unten).
Im Erzbistum macht sich gestern Erleichterung breit. Der Münchner Pfarrer und Buchautor Rainer Maria Schießler spricht von einer „frohen Botschaft“ und zieht einen Vergleich aus dem in Bayern beliebten Kartenspiel Schafkopf: „Der Kardinal hat echt einen Schneider rausgehauen, den höchsten Trumpf, nämlich sich selbst als Erzbischof. Und er hat den Stich gemacht.“ Der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, ist erleichtert: „Wir brauchen die Stimme von Kardinal Marx – für die Ökumene, für die Reformprozesse der Kirche und auch als Stimme öffentlicher Theologie.“ Der Jesuit und Buchautor Andreas R. Batlogg hat gehofft, dass der Papst so entscheiden werde. „Es stärkt das Projekt des Synodalen Weges.“ Erfreut reagiert auch der Diözesanratsvorsitzende Hans Tremmel. Der wertschätzende Brief des Papstes zeige, dass auch er den Ernst der Lage sehe. Die Botschaft sei unmissverständlich: Marx soll weiterhin von hier aus an der Erneuerung der Kirche entscheidend mitwirken.
Kritik kommt indes vom Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch. „Mit seiner Entscheidung nimmt Franziskus dem Rücktrittsangebot von Kardinal Marx die Wucht.“