CSU-Krach um eine heikle Videokonferenz

von Redaktion

Corona-Debatte mit Lütge geplatzt: Mittelstands-Union wirft Parteizentrale „Zensur“ vor

München – In der CSU ist ein ungewöhnlicher Hauskrach mit den eigenen Mittelständlern ausgebrochen. Die Mittelstands-Union wirft der Parteispitze in einem Brandbrief vor, eine offizielle Diskussionsveranstaltung bewusst sabotiert zu haben. Und die Parteispitze schimpft, dass ihre Parteigliederung da einen umstrittenen Ethiker eingeladen habe, der hart an der Grenze der Corona-Leugner argumentiere.

Im Kern geht es um einen Konflikt, der die CSU durch die Corona-Zeit begleitet: Teile des 4000 Mitglieder starken Wirtschaftsflügels hadern mit dem strikten Söder-Kurs, der Einzelhändler, Gastronomen, Mittelständler hart traf. Die Wut staut sich teils lokal auf, teils in der Mittelstands-Union (MU), geführt vom schwäbischen Landtagsabgeordneten Franz Pschierer (64). Er nimmt, seit er 2018 nicht mehr zum Wirtschaftsminister berufen wurde, keine Rücksicht mehr auf innerparteiliche Disziplin.

Pschierer und seine Mitstreiter hatten für Donnerstag eine heikle, kontroverse Videoschalte ausgemacht. Eingeladen war der TU-Ethikprofessor Christoph Lütge. Er war aus dem Ethikrat der Staatsregierung geflogen, nachdem er die Corona-Maßnahmen als „Irrsinn“ gerügt hatte. Lütge wurde mit den Worten zitiert, die Opfer der Pandemie seien eh im Schnitt alt gewesen. „Menschen sterben nun einmal. Dafür alle anderen wegzusperren, das halte ich für komplett unverhältnismäßig, unverantwortlich und schlimm.“ Händewaschen und Abstand genügten.

Lütge zur Debatte über Wirtschaftsethik einzuladen, ist natürlich eine Provokation. Was dann genau geschah, wird unterschiedlich geschildert. Pschierer behauptet, die Parteizentrale habe kurzfristig einen Webex-Zugang gesperrt. Die Diskussion platzte. Von „Zensur“ schreibt er, „das war zutiefst undemokratisch“. Insbesondere wirft er CSU-Generalsekretär Markus Blume Defizite im Demokratieverständnis vor, sich unsouverän vor Debatten zu drücken und überdies Wähler zu verprellen. Pschierers geharnischten Brief hat ein großer Teil seines Landesvorstands mit unterzeichnet. Auf Anfrage sagt der MU-Chef, er teile Lütges Auffassungen im Einzelnen nicht, aber es dürfe in der CSU „keine Rede- und Diskussionsverbote geben“.

Die CSU wiederum weist die Darstellung eines gezielten Eingriffs gegen die Technik zurück. Es habe ein „serverseitiges Sicherheitsupdate“ gegeben, die Veranstaltung habe deshalb „leider ungeplant nicht stattfinden“ können. Blume selbst kontert schroff: „Der liebe Franz ist leider schon seit Monaten völlig von der Rolle – schade.“

Hauskrach also in der CSU. Allerdings auch in Pschierers MU selbst. Oberbayerns Bezirkschef Thomas Geppert distanziert sich klar von der Lütge-Einladung („absolut die falsche Zeit dafür“). Ebenso Pschierers Vize Sebastian Brehm: Der Nürnberger rügt Pschierers Stil insgesamt: „Wenn die MU sich zur Opposition innerhalb der CSU entwickelt, ist das der falsche Weg.“ Man brauche als MU mehr Gehör und müsse sich inhaltlich und personell „stärker aufstellen“.

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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