Sonne und Spritze helfen gegen Delta

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Berlin/München – Die freitägliche Warnung aus Berlin ist zum Ritual der Republik geworden. Immer kurz vor dem Wochenende treten Gesundheitsminister Jens Spahn, CDU, und die Spitze des Robert-Koch-Instituts vor die Kameras, sie warnen vor Leichtsinn und Übermut. Auch diesmal, obwohl die Inzidenzen so niedrig sind wie seit Monaten nicht mehr.

„Das kann ein guter Sommer werden“, sagt also Spahn. Aber nur dann, wenn alle aufmerksam blieben. Lockerungen sollten bei steigenden Sieben-Tage-Inzidenzen regional wieder zurückgenommen werden, und zwar nicht erst bei einer Inzidenz von 50, „sondern früher“. Durch die ansteckendere Variante Delta (zunächst in Indien aufgetaucht) könne sich das Virus wieder verbreiten, mahnt auch RKI-Präsident Lothar Wieler. Es werde Ungeimpfte und Einmal-Geimpfte treffen. „Das dürfen wir einfach nicht riskieren.“ Durch Impfungen, Masketragen in Innenräumen und Abstandhalten könnten wiedergewonnene Freiheiten erhalten bleiben.

Warnungen also, dennoch Optimismus. In der Wissenschaft setzt sich die Erkenntnis durch, dass Corona vom Sommer stärker weggeleuchtet wird, als zunächst erhofft. „Saisonalität“ nennen das die Experten. Der für eine weniger strenge Linie plädierende Virologe Hendrik Streeck hatte das bereits für März vorhergesagt; nun tritt es mit einigen Wochen Verzögerung ein. „Für den Einfluss der Saisonalität auf das Infektionsgeschehen räume ich ein: Streeck hatte voll Recht“, sagt selbst der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, bei Corona einer der Hardliner.

Aktuell liegt die Inzidenz bundesweit bei 10,3. Für Deutschland heißt das: Es gibt ein Zeitfenster bis zur wieder kühleren Phase im Herbst, um der aggressiven Delta-Variante möglichst viele Impfungen entgegenzusetzen. Bisher sind 29,6 Prozent der Deutschen doppelt geimpft und damit auch gegen Delta gut geschützt.

Dass sich diese Mutation durchsetzt, ist unter Experten nicht mehr umstritten. Aktuell stellt sie rund sechs Prozent der Fälle, Tendenz aber stark steigend. Spahn kündigte an, alle positiven PCR-Tests genauer auf diese Virusform zu untersuchen und nicht nur wie bisher stichprobenartig.

Offen ist, wie viele Deutsche bis Herbst durchgeimpft sein müssen, um die Pandemie und ihre Mutationen wirklich hinter sich lassen zu können. Das RKI nennt 80 Prozent. Der Münchner Infektiologe Christoph Spinner (Klinikum rechts der Isar) geht sogar von 90 Prozent aus. Weil Delta viel ansteckender ist, brauche man einen höheren Wert.

Spinner verlangt maximalen Druck in der Impfkampagne: Der Effekt der Saisonalität „kann uns natürlich im Herbst wieder einholen. Wir müssen die Zeit, die wir jetzt gewinnen, unbedingt nutzen, um möglichst viel zu impfen“, sagt der Mediziner im Gespräch mit unserer Zeitung. Er rät, auch Kinder und Jugendliche zu impfen. „Anders lässt sich eine solche hohe Impfquote nicht erreichen. Zudem gibt es aus England bereits erste Hinweise, dass dort nun auch Kinder schwerere Verläufe zeigen.“ Spinner rät zudem: „Vertretbare Maßnahmen wie die Maskenpflicht in der U-Bahn wird es erst einmal weiter brauchen.“

Derweil hat das RKI seine Ratschläge zum Maskentragen etwas entschärft. Draußen sei das Infektionsrisiko grundsätzlich wesentlich geringer, heißt es in einem neuen Leitfaden des RKI im Internet. Insbesondere wenn ein Abstand von 1,5 Metern eingehalten werde. Hier sei das Tragen einer Maske in der Regel nur noch in bestimmten Situationen sinnvoll, zum Beispiel bei Gedränge oder längeren Gesprächen in unmittelbarer Nähe zueinander. In Innenräumen seien Masken zum Infektionsschutz jedoch weiter unabdingbar.  (mit dpa)

Artikel 1 von 11