Wenn Diplomaten immer genau das sagten, was sie denken: Herrjemine, auf dieser Welt wäre die Hölle los. Nun war Barack Obama nicht Diplomat, sondern US-Präsident, als er Russland 2014 mitten in der Krim-Krise als „Regionalmacht“ bezeichnete. Die Folgen waren trotzdem gravierend. Wladimir Putin, damals wie heute russischer Präsident mit Supermacht-Ambitionen, nahm dem US-Kollegen die Herablassung bitter übel. Sie war, wenn nicht Ursache, so doch ein Mitgrund für die rapide Verschlechterung des russischen Verhältnisses zum Westen. Wenn man so will, war es die eine Demütigung zu viel.
Man darf deshalb die Geste des neuen US-Präsidenten Joe Biden nicht unterschätzen: Beim Gipfel in Genf bezeichnete er die USA und Russland in einem Atemzug als zwei „mächtige und stolze Länder“. Biden, der natürlich um die haushohe wirtschaftliche und militärische Überlegenheit der USA weiß, kostete das nichts. Dass er den Russen nichts schenken wird, hat er in den vergangenen Wochen, und mit Sicherheit auch im Gespräch mit Putin, hinreichend klargemacht. Die verbale Anerkennung, die ja nichts als ein Korrektur-Versuch des Obamaschen Fehltritts war, schafft nun womöglich etwas Raum für Putin, sich auf die USA zu- oder sich zumindest nicht weiter wegzubewegen. In Washington mag Biden für den Gipfel geschmäht werden, aber langfristig dürfte sich ein stabileres Verhältnis zum Kreml auszahlen. Denn die größte Herausforderung sitzt nicht in Moskau, sondern in Peking.
Marcus.Maeckler@ovb.net