Es ist eine echte Sensation: In der von eher stiernackigen US-Profis geprägten NFL hat sich mit Carl Nassib erstmals ein Footballer in einem Selfie-Video geoutet: „Was geht Leute, ich wollte nur einen kurzen Moment nutzen und sagen, dass ich schwul bin“, lautete der herrlich lakonische erste Satz. Als sei es das Normalste auf der Welt. Ist es ja eigentlich auch. Aber der Profi-Fußball wartet in Europa weiter auf ihn. Aktive Sportler schrecken auch im Jahr 2021 davor zurück, sich zu outen.
Insofern ist die ganze Aufregung der vergangenen Tage um Manuel Neuers Regenbogen-Kapitänsbinde und die Beleuchtung der Allianz Arena für das Länderspiel gegen Ungarn schon ein wenig scheinheilig. Der Fußball mit seinem enormen gesellschaftlichen Stellenwert kann und soll natürlich Signale setzen, aber er müsste sie eben auch selbst konsequenter im Alltag umsetzen. Das wäre viel, viel wirkungsvoller als gut gemeinte Symbolpolitik.
Die wahren politischen Debatten werden ohnehin anderswo geführt. Gott sei Dank! Fußballverbände eignen sich wahrlich nicht als Vorbild für transparente und faire Demokratien. Um einen Viktor Orbán einzubremsen, braucht es klare Bekenntnisse von gewählten Politikern. In Bayern, wo die CSU den Ungarn viel zu lange bei ihren Klausurtagungen hofierte, weiß man das. Inzwischen zeigt auch sie durch Manfred Weber in Brüssel klare Kante. Dort, auf EU-Ebene, muss diese Werte-Debatte geführt werden. Mit harter Währung – nicht mit Symbolen.
Mike.Schier@ovb.net