Merkels letztes Kreuzverhör

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH

München/Berlin – Für diese Frage braucht Angela Merkel ein gutes Gedächtnis. Sie habe schon 1997 in einer Talkshow auf die Langzeitfolgen des Klimawandels hingewiesen und „schnelles Handeln“ gefordert, konfrontiert der Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer die Kanzlerin mit einem steinalten TV-Auftritt. Was sage sie heute – 24 Jahre später – dazu. „Tja, ich war halt damals Umweltministerin, nich“, antwortet Merkel. Viel sei seitdem passiert, aber natürlich nicht genug. „Die Zeit drängt wahnsinnig. Ich kann die Ungeduld der jungen Leute verstehen.“ Ein paar Minuten später geht es schon wieder um das Coronavirus und PCR-Tests.

Es ist das letzte Mal, dass sich Merkel den Bundestagsabgeordneten stellen muss. Denn bis zur Wahl am 26. September findet keine Regierungsbefragung mehr statt, und sobald es danach einen neuen Bundestag gibt, wird Angela Merkel nicht mehr Kanzlerin sein. Hinter ihr liegen dann 16 Jahre am Steuer dieses Landes. Atomausstieg, Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie – all das wird mit ihrer Amtszeit verbunden bleiben.

In sich hatte es insbesondere ihre letzte Amtsperiode – auch für den Bundestag. Wegen der sich dahinschleppenden Regierungsbildung nach der Wahl 2017 begannen diese vier Jahre holprig. Die Corona-Krise verlangte dann auch dem Parlament viel ab – nicht nur wegen der Maskenpflicht. Eine Attacke auf das Reichstagsgebäude durch Gegner der Corona-Politik sorgte ebenso für Empörung wie die Maskenaffäre von Unionsabgeordneten. Die AfD um ihre Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland sorgten für eine Verschärfung der Tonlage. Mit der Parole „Wir werden sie jagen“ hatte Gauland schon am Wahlabend einen harten Konfrontationskurs angekündigt. 47 Ordnungsrufe – quer durch die Fraktionen – zeugen vom schroffer gewordenen Umgang. Mehr gab es zuletzt in der 11. Wahlperiode (1987 bis 1990).

Neu ist auch die Regierungsbefragung. Dass die Kanzlerin dem Parlament direkt Rede und Antwort steht – das gab es vorher nicht. Dass das Format allerdings noch ausbaufähig ist, zeigt sich auch am Mittwoch. Auch wenn die vergleichsweise entspannt wirkende Kanzlerin mit ihren Antworten teils zumindest den Unterhaltungswert erhöht.

Ob sie die Forderung von CSU-Chef Markus Söder nach einem Kassensturz nach der Wahl nicht als Anwurf gegen ihr Kabinett verstehe, will SPD-Mann Carsten Schneider wissen. Er erkennt darin ein Misstrauensvotum gegenüber seinem Kanzlerkandidaten und Finanzminister Olaf Scholz. Nein, sagt Merkel. Einen Kassensturz, das mache jeder Finanzminister permanent – „selbst der heutige“. Gelächter im Saal.

„Der nächschte Kollege“ schwäbelt sich Bundestagspräsident in gelangweiltem Tonfall durch die Liste der Abgeordneten. Die SPD fragt nach dem Rentenniveau, die FDP nach der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, die Grünen nach dem Frauenanteil im Bundestag. Aus der Reserve lockt das alles die Kanzlerin nicht. Dazu wirken die Fragen zu harmlos – teils mehr wie Kurzreferate, in denen die Fraktionen im Wahlkampf vor allem ihre eigenen Themen platzieren möchten. Und wenn es doch mal knifflig wird – zum Beispiel als die AfD fragt, ob Merkel nur den ungarischen Umgang mit Homosexuellen kritisiere, oder auch die WM-Teilnahme 2022 in Katar infrage sieht –, antwortet Merkel einfach drüber weg.

Auch was ihren Abschied betrifft, bleibt die Kanzlerin nüchtern – und somit ganz sie selbst. Kein rührseliges Wort kommt ihr über die Lippen. Merkel verharrt im Arbeitsmodus. Vielleicht hat sie sich ihre Abschiedsworte an das Parlament aber auch aufgehoben. Heute hält sie im Bundestag noch einmal eine Regierungserklärung – es ist ihre letzte.  mit dpa

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