Zwei Millionen Fragen an Putin

von Redaktion

Im TV stellt sich der Kreml-Chef unangenehmen Fragen, lobt sich selbst – und wirbt einmal mehr für Sputnik V

Moskau – Inmitten massiver Unzufriedenheit in der russischen Gesellschaft hat Präsident Wladimir Putin seine politische Führung als Erfolgsmodell verteidigt. Bei der Live-Sendung „Der direkte Draht“ hatten Bürger gestern fast vier Stunden lang die Möglichkeit, Putin ihre Sorgen zu schildern. Gut zwei Millionen Fragen kamen zusammen, 70 beantwortete er. Immer wieder versprach der 68-Jährige: „Wir regeln das.“

Russland werde von außen bedroht, sagte Putin. Es müsse gegen Gefahren etwa aus den USA zusammenhalten. Dabei gab er sich selbstbewusst. Die Sanktionen des Westens seien nicht schädliche, sondern sogar hilfreich, um die eigene Wirtschaft zu entwickeln. Bei der Corona-Politik setzte er zum Selbstlob an. Russland stehe besser da als andere, sagte Putin –trotz Rekorden bei Todes- und Infektionszahlen. Dagegen macht die Opposition vor allem den Kreml für die vielen Missstände verantwortlich.

Stundenlang hörte sich Putin die Klagen der Landsleute an: über extrem niedrige Löhne, fehlende Arbeitsplätze und Probleme bei der Versorgung mit Gas. Besonders in den Regionen klagen Bürger der Energiegroßmacht darüber, dass große Leitungen nach Westen und China verlegt werden, aber nicht vor ihre Haustür. Eine Frau aus Swerdlowsk 1500 Kilometer östlich von Moskau fragte, warum der Bürgermeister auf seiner Datscha eine Gasleitung habe, sie aber nicht in ihrer Wohnung. Die von der Kommune angesetzten Kosten seien unbezahlbar. Putins Antwort: „Wir regeln das.“

Dabei beschwerten sich einige in der Sendung, in der Fragen per Telefon, per Video-App, SMS oder per E-Mail gestellt werden konnten, dass schon frühere Versprechen nicht eingelöst wurden. Es gab Klagen über geringe Renten, teure Lebensmittel und fehlende Straßen. Auch auf die fast schon traditionell gestellte Frage nach seinem Abschied aus der Politik musste Putin antworten. „Natürlich kommt die Zeit. Und ich hoffe, dass ich sagen kann, dass dieser oder jener Mensch meiner Meinung nach würdig ist, solch ein wunderbares Land wie unsere Heimat Russland zu führen.“ Er wolle eine Empfehlung geben.

Der Kremlchef hatte vergangenes Jahr durch eine Verfassungsänderung den Weg für sich selbst freigemacht, bis 2036 zu regieren. Voraussetzung wäre, dass er 2024 und 2030 wieder gewählt wird. Ursprünglich erlaubte die Verfassung nur zwei Amtszeiten am Stück.

Zahlreiche Politologen wundern sich, dass Putin noch immer in die unangenehme Fragerunde geht. Die Show zeige die Hilflosigkeit des Apparats und Putins selbst, meinte die Politologin Tatjana Stanowaja. Die Sendung sei eine Inszenierung, in der leidenschaftslos Probleme benannt würden, ohne Aussicht auf Lösung.

2020 fiel die Sendung wegen Corona aus. Diesmal nutzte Putin die Show, um für Impfungen zu werben – wohl auch, weil die Bevölkerung den im Land entwickelten Impfstoffen nicht traut. Dabei lüftete Putin das Geheimnis um seine eigene Impfung. Er habe sich mit Sputnik V immunisieren lassen und bis auf eine erhöhte Temperatur von 37,2 Grad keine Nebenwirkungen gehabt. „Die Impfung ist ungefährlich.“ Zugleich behauptete er, dass das Vakzin besser sei als andere Impfstoffe, etwa von Astrazeneca und Pfizer. Russland steht im Westen immer wieder in der Kritik, dort entwickelte Vakzine schlechtzureden.

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