Die Bilder, die diese EM produziert, sind so mitreißend wie verstörend. Menschen in Ekstase oder tiefster Verzweiflung, die ganze Bandbreite der Emotionen auf engstem Raum, in normalen Zeiten wäre das ein unverzichtbarer Bestandteil gewesen. Jetzt hinterlässt es einen schalen Nachgeschmack und ein Gefühl der Beklemmung.
Die Bilder sollen den Geschäftemachern helfen, ihr Turnier als Erfolg zu verkaufen, aber der Trick funktioniert diesmal nicht. Am Mittwoch meldete Großbritannien die höchsten Infektionszahlen seit Januar. Dass in zehn Tagen alle Beschränkungen fallen sollen, grenzt an Wahnsinn. Ein paneuropäisches Fußballturnier – das weiß jeder, der nicht unter der Käseglocke der Sportvermarktung lebt – ist das Letzte, was das Land jetzt braucht.
Dass es trotzdem durchgepeitscht wird, hat nicht nur die UEFA zu verantworten. Die hat in den letzten Wochen oft und völlig zu Recht Prügel kassiert. Doch nicht weniger skandalös ist das Versagen der Johnson-Regierung, die die Sause vor prall gefüllten Rängen enden lässt. Vieles kommt da zusammen: Sorglosigkeit, Prestigedenken, der Heimvorteil. Statt die UEFA einzubremsen, wie es Deutschland und andere vorgemacht haben, hat sich London einspannen lassen. Nun geht die Party dank des englischen Finaleinzugs auch noch ungebremst weiter. Das böse Erwachen aber wird kommen. In ein paar Wochen, wenn das Gesundheitssystem die Zeche zahlt und die UEFA ihre Schäfchen längst ins Trockene gebracht hat.
Marc.Beyer@ovb.net