Geringverdiener stehen hinten an

von Redaktion

VON KATHRIN BRAUN

München – Sie gehörten zu den Helden der Pandemie. Jetzt bleiben Supermarkt-Mitarbeiter bei den Impfungen auf der Strecke. Nur jeder Zweite hat bislang eine erste Impfung bekommen. Trotz Prio-Gruppe 3. Das Problem betrifft generell Geringverdiener in Deutschland: Laut einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung haben nur 49 Prozent der Menschen im unteren Fünftel der Lohnverteilung eine erste Dosis bekommen. Bei den Besserverdienenden im oberen Fünftel sind es 71 Prozent.

Dazu kommt: Ärmere Menschen infizieren sich ohnehin eher als andere. Laut einer Studie der Uni Mainz ist das Infektionsrisiko für sozial Schwache 1,6-fach höher. Grund vor allem: beengte Wohnverhältnisse.

„Offensichtlich hat man bislang nicht genug Maßnahmen getroffen, um Geringverdiener und sozial Benachteiligte bei der Impfkampagne so zu berücksichtigen, wie es notwendig wäre“, sagt Ulrike Mascher, Chefin des Sozialverbands (VdK) Bayern. Vor allem für Rentner und Menschen mit Sprachbarrieren sei es schwierig gewesen, sich um einen Impftermin zu kümmern. „Man hat es ohne Zweifel versucht: Ich habe bei meiner Bestätigung für den Impftermin einen ganzen Packen an Unterlagen in verschiedenen Sprachen bekommen.“ Das reiche aber nicht, findet sie. „Der ganze Prozess bis zur Impfung gestaltet sich oft viel zu kompliziert. Viele Menschen haben nicht mal einen Hausarzt.“ Man müsse gezielter auf Menschen zugehen. „Entweder Zuhause oder bei der Arbeit.“

Laut bayerischem Gesundheitsministerium ist das Aufgabe der kommunalen Impfzentren. Es sei bekannt, dass sich „sozial schlechter gestellte Gruppen“ leichter von praktischen Hindernissen „abschrecken lassen“, sagt ein Sprecher. Das Ministerium habe deshalb die Impfzentren aufgefordert, sich an die „bekannten Anlaufstellen“ zu wenden – zum Beispiel Sportvereine, Jobcenter, Kirchen, Moscheen und Integrationsberater. „Die Kommunen können am besten ihre sozialen Brennpunkte identifizieren.“

In München gelten unter anderem die Stadtteile Milbertshofen, Hasenbergl und Neuaubing als sozial benachteiligte Gegenden. In den entsprechenden Stadtbezirken hat das Münchner Gesundheitsreferat seit Ende März auch die höchsten Inzidenzen festgestellt. Man plane hier aktuell „mobile Impfaktionen“, sagt ein Sprecher. Ein paar habe es bereits gegeben – zum Beispiel in der Neuaubinger Pfarrgemeinde oder bei der Münchner Tafel.

Es brauche aber „deutlich mehr Anstrengungen“, sagt Ronja Endres, Vorsitzende der bayerischen SPD. Die Staatsregierung habe „beschämend wenig unternommen“, um speziell Menschen mit mangelnden Deutschkenntnissen in die Impfkampagne einzubinden. „Unser Generalsekretär Arif Tasdelen hat per Anfrage herausgefunden, dass das bayerische Impfportal nicht in unterschiedlichen Sprachen verfügbar ist, weil die Programmierkosten dafür zu hoch wären.“ Ein „handfester Skandal“, findet Endres.

Vural Ünlü sieht das ähnlich. „In München haben mehr als 40 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund“, sagt der Sprecher der Türkischen Gemeinde Bayern (TGB). Trotzdem habe sich bisher kein Spitzenpolitiker mit Migrantenverbänden an einen Tisch gesetzt, um über eine Strategie zu sprechen. „Für Markus Söder ist das wohl ein Igitt-Thema.“

Dabei sei die Impfbereitschaft unter Menschen mit Migrationshintergrund hoch, sagt Benjamin Idriz, Gründer des Münchner Forum für Islam. „Unter den Mitgliedern, die regelmäßig unsere Moschee besuchen, wollen sich fast alle impfen lassen“, sagt der Imam. „Und da gibt es auch keine Unterschiede zwischen Muslimen, die seit Jahrzehnten hier leben, und denjenigen, die in den letzten Jahren gekommen sind.“

Sevghin Mayr, Vorsitzende des deutsch-rumänischen Integrationsvereins Sgrim, sagt: „Viele aus der Community sind für ihre Impfung extra nach Rumänien gefahren.“ Dort habe man an der Grenze zu Ungarn eine Impf-Station speziell für Rumänen aus dem Ausland eingerichtet. „Viele sind so schneller an einen Termin gekommen als hier.“ Man habe die Rumänen in Deutschland gezielt kontaktiert – und mit einem Urlaub in der Heimat gelockt.

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