München – Man weiß so gut wie nichts über Annalena Baerbocks Urlaub, aber eines ist sicher: Allzu erholsam dürfte er nicht sein. Zwei Wochen lang wollte sie sich ausklinken, mit Mann und Kindern, angeblich war das lange geplant. Aber mit einem Riesenklumpen Ärger am Bein lässt sich nur schwer Ruhe finden. Also meldete sie sich diese Woche doch zu Wort.
„Rückblickend wäre es sicherlich besser gewesen, wenn ich doch mit einem Quellenverzeichnis gearbeitet hätte“, sagte sie der „SZ“ am Donnerstag. Gemeint war natürlich ihr Buch, für das sie sich offensichtlich und ohne Kennzeichnung bei anderen Quellen bedient hatte. Wahlkampfchef Michael Kellner gestand am selben Tag im „Spiegel“ ein, Fehler gemacht zu haben. Das klang schon deutlich anders als in den Tagen zuvor, als die Grünen mit „Rufmord“- und Kampagnen-Vorwürfen um sich warfen.
Der Ärger um ihre Kanzlerkandidatin hat der Partei schwer zu schaffen gemacht. Der Umgang mit den Plagiatsvorwürfen – das Kleinreden des Offensichtlichen, das Einschalten eines Medienanwalts – machte die Sache besonders schlimm. Jetzt gibt es also einen erneuten Strategiewechsel: Fehler zugeben statt abstreiten. Es ist der Versuch, den implodierten Wahlkampf wieder aufs Gleis zu setzen – zumindest nach innen wirkt er. „Im Nachhinein wäre es sicher besser gewesen, sich mit mancher Kritik ernsthafter auseinanderzusetzen“, sagt der Münchner Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek. Baerbocks Einordnung sei eine Erleichterung.
Selbst wenn: Die Frage bleibt, wie es weitergeht. Und mit wem. Im „Spiegel“ und in der „taz“, beide den Grünen durchaus gewogen, erschienen dieser Tage Texte, die der Partei einen Kandidatenwechsel nahelegten, also Robert Habeck statt Baerbock. Das soll im Parteirat Thema gewesen sein. Intern heißt es aber, eine ernsthafte Option war das nie. Auch Kellner betont, man gehe selbstverständlich mit Baerbock in die Wahl.
Heißt auch: Die Hypothek eines arg rumpeligen Wahlkampfs bleibt. Frank Stauss, einer der bekanntesten Politikberater des Landes, sagte der „Wirtschaftswoche“, er schaue mit „einem gehörigen handwerklichen Entsetzen auf die grüne Kampagne“. Die Partei wiederhole die Fehler des SPD-Wahlkampfes mit Martin Schulz vor vier Jahren. Baerbock fehle zudem die „biografische Qualifikation fürs Kanzleramt“.
Lange herrschte in der Partei blankes Entsetzen ob der harten Angriffe, inzwischen setzen sich Zweckoptimismus und stellenweise sogar Hoffnung durch. Die Umfragewerte lägen trotz der Negativ-Berichte immer noch zwischen 18 und 22 Prozent, heißt es, also doppelt so hoch wie 2017. Und so zynisch es klingt: Die Grünen hoffen auch, dass der sichtbar werdende Klimawandel – Hitzeglocke über Skandinavien, 50 Grad in Kanada, Unwetter und Starkregen bei uns – ihnen in den nächsten Wochen nutzt. „Die Leerstellen der Union allein auf diesem Gebiet sind beachtlich“, sagt Wahlkampfchef Kellner. „Den Unterschied werden wir noch deutlicher machen.“
Den Themenwahlkampf fordern die Grünen schon lange – bisher aber standen Baerbocks Verfehlungen im Weg. Kann das noch was werden? Politikberater Stauss hält es nicht für unmöglich, dass sich die Kampagne erholt. Janecek ist auch optimistisch. „Wenn man Phasen wie jetzt übersteht, geht man gestärkt aus ihnen hervor“, sagt er. Die Wahl werde eh erst ab Ende August entschieden. „Auf uns ist jetzt eingeprügelt worden, so ist das nun mal in Wahlkämpfen. Aber ich habe oft genug Wahlkampf gemacht, um zu wissen: Der Wind kann sich schnell drehen.“