Kein Grund zum Zurücklehnen

von Redaktion

Sechs Monate nach Joe Bidens Amtsantritt häufen sich die Probleme, innen- wie außenpolitisch

Washington – Als Joe Biden am 20. Januar den Amtseid ablegte, starben täglich mehr als 3000 US-Bürger an Covid-19. Die Zahl ist bis heute stark gesunken, doch inzwischen läuten wieder die Alarmglocken. In den letzten sieben Tagen starben im Schnitt 280 Menschen, in der Vorwoche waren es noch 200. Nur am Montag verzeichneten die USA gut 55 000 Neuinfektionen.

Sechs Monate nach Bidens Einzug ins Weiße Haus kann von einer Entwarnung keine Rede sein – und niemand kann vorhersagen, wie sich neue Corona-Varianten und die deutliche Impfmüdigkeit eines Teils der Bürger auf die wirtschaftliche Erholung der USA auswirken werden. Wie sehr die Nerven bei Biden blank liegen, zeigt auch seine jüngste Aussage, dass der Social-Media-Gigant Facebook mit Falschinformationen zur Pandemie „Menschen tötet“.

Zwar sind mittlerweile 160 Millionen Amerikaner voll geimpft – Biden profitierte dabei auch von der Impfstoff-Initiative, die sein Vorgänger Donald Trump angeschoben hatte. Die Amerikaner reisen wieder, an einen neuen Lockdown denkt keiner der Verantwortlichen. Deshalb kann es nicht verwundern, dass Bidens Zustimmungswert bei um die 50 Prozent liegt. Trump erreichte das nie.

Doch die tiefe politische Spaltung, die das Land seit vielen Jahren prägt, hat auch Biden trotz einer bewusst verbindlicheren Tonart nicht überwinden können. Ein gutes Beispiel für den viel beklagten Status Quo wurde am Mittwoch sichtbar: Das Bemühen von Parlamentariern, eine parteienübergreifende Untersuchungs-Komission zur Kapitolserstürmung am 6. Januar zu bilden, scheiterte zunächst am Unwillen von Demokraten-Fraktionschefin Nancy Pelosi, zwei Trump-nahe Republikaner im Gremium zu akzeptieren.

Gleichzeitig tut sich die Biden-Regierung schwer damit zu definieren, was die größte Bedrohung der Gegenwart ist. Bidens Klimaschutz-Gesandter John Kerry hält die Erderwärmung für gefährlicher als Covid-19, der Präsident selbst wechselt je nach Gelegenheit und Publikum zwischen Pandemie, Klimawandel und der angeblichen Bedrohung der Demokratie durch weiße Nationalisten. Festlegen möchte sich Biden wohl bewusst nicht, um für den Kongress-Wahlkampf 2022 politisch flexibel zu bleiben. Ein wesentliches Thema dürfte dabei die anhaltende Welle illegaler Migranten in die USA sein – ein für das Weiße Haus unangenehmes Problem. Biden und seine Mitarbeiter weigern sich beharrlich, den Sturm auf die Südgrenze als Krise zu bezeichnen – obwohl die Zahlen so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr sind.

Biden hatte zwar versucht, das heikle Thema von seinem Schreibtisch zu bekommen, und es seiner Vizepräsidentin Kamala Harris zugeschoben. Doch die Politikerin, die als Kandidatin für 2024 gehandelt wird, macht bisher eine eher unglückliche Figur. Statt nach schnellen Lösungen zu suchen, scheint sie auf strukturelle Verbesserungen in den Fluchtländern zu warten, die Wanderwillige abhalten.

Auf der Weltbühne hat Biden ebenfalls keine Ruhe. Zwar wird vielerorts mit Zustimmung zur Kenntnis genommen, dass die USA wieder berechenbarer als in der Trump-Ära geworden sind. Doch Russland und China sind dem Präsidenten weiter ein Dorn im Auge. Der Gipfel mit Wladimir Putin brachte trotz der innenpolitisch umstrittenen Tolerierung von Nord Stream 2 und der Brüskierung der Ukraine keine erkennbare Annäherung. Hacker machen gerade US-Unternehmen weiter zu schaffen. Nun kommt noch Afghanistan hinzu, das sich die Taliban wieder unter die Nägel reißen. Die Herausforderungen sind also groß. Biden hat keinen Grund, sich zurückzulehnen. F. DIEDERICHS

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