München – Das Schreiben, das die Arbeit für die Kollegen auf eine völlig neue Grundlage stellen wird, ist im Ton amerikanisch-unverkrampft, in der Sache aber glasklar. „Hallo zusammen“, grüßt Sundar Pichai seine Mitarbeiter, er hoffe, „ihr alle passt gut auf euch auf“. Pichai, Chef des Internetriesen Google, teilt der Belegschaft am Mittwoch über den Firmen-Blog mit, dass das Erscheinen im Büro angesichts steigender Corona-Zahlen schon bald nicht mehr uneingeschränkt möglich sein wird. Die Kernbotschaft ist fettgedruckt: „Jeder, der zum Arbeiten auf unseren Campus kommt, muss geimpft sein.“
In den kommenden Wochen will Google diese Regelung an all seinen Standorten in den USA einführen. Auch auf andere Regionen weltweit soll sie ausgeweitet werden – „den lokalen Bedingungen entsprechend“. Ganz ähnlich sind die Pläne, die mit Facebook ein zweites Online-Schwergewicht fast zeitgleich vorstellte.
Dass deshalb nun bald auch in Deutschland das Betreten eines Büros nur noch mit passendem Impfstatus möglich sein wird, ist gleichwohl nicht zu erwarten. Nicht mal in Google-Büros lässt sich die Vorschrift eins zu eins umsetzen. „Wir richten uns natürlich nach den jeweiligen Regularien“, sagt Konzern-Sprecher Ralf Bremer. Die sind in Deutschland unmissverständlich.
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass ein führender Politiker betont, eine Impfpflicht werde es nicht geben. Während in den USA der Staat New York von medizinischem Personal eine vollständige Impfung verlangt, die Regierung in Washington eine Pflicht für die zwei Millionen Bundesangestellten erwägt und der Streamingdienst Netflix Mitarbeiter am Set nur noch mit vollständiger Immunisierung akzeptiert, löst hier schon der Gedanke, dass Geimpfte weniger Einschränkungen hinzunehmen bräuchten, Grundsatzdebatten aus. Den Gang ins Büro vom Impfstatus abhängig zu machen, ist da überhaupt nicht vorstellbar.
Das heißt keineswegs, dass deutsche Unternehmen sich nicht längst auf die Zwänge der Pandemie eingestellt hätten. Nicht nur die Filialen von US-Konzernen wie Microsoft, wo selbst manche Führungskraft ihr Büro seit vielen Monaten nicht mehr gesehen hat, sondern auch gestandene Dax-Unternehmen sind mit dezentralem Arbeiten bestens vertraut.
Der Allianz-Konzern hat schon vor Jahren die Weichen in Richtung Homeoffice gestellt. Bis zu 49 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit durften die Angestellten von daheim bestreiten. Als im Frühjahr 2020 die Pandemie ausbrach, war die Umstellung nur eine Frage von Tagen. „Wir waren sehr gut vorbereitet auf Corona“, sagt Unternehmenssprecher Mario Ghiai. Zeitweise betrug der Anteil der Heimarbeit 90 Prozent. Heute sind es im Durchschnitt noch immer 77.
Impfen ist bei der Allianz ein großes Thema. In den internen Zentren sind bis jetzt rund 17 000 Dosen verabreicht worden. In Kürze steht die jeweils zweite an, auch Angehörige von Mitarbeitern können sich immunisieren lassen. „Wir sensibilisieren regelmäßig unsere Belegschaft“, sagt Ghiai. Sie jedoch an die Spritze zu zwingen, widerspreche nicht nur geltendem Recht und der eigenen Überzeugung, sondern würde auch aus praktischen Gründen scheitern: „Wir dürfen überhaupt nicht den Impfstatus erfragen.“
Auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die die nationale Impfkampagne immer wieder öffentlich unterstützt und das betriebliche Impfen im Freistaat koordiniert, sieht den Ansatz von Google und Facebook skeptisch. Grundsätzlich müsse zwar „jedes Unternehmen selbst darüber entscheiden können, mit welchen Maßnahmen es die Infektionen im Betrieb reduziert“, sagt Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Aber Zwang sei selten das richtige Mittel. „Wir setzen auf überzeugen statt regulieren.“