GEORG ANASTASIADIS
Deutschland steuert auf seinen zweiten Corona-Herbst zu, und weil es auch ein Wahlherbst sein wird, kocht mancher jetzt sein Süppchen. Freie-Wähler-Chef Aiwanger warnt scheinheilig vor einer Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte – und führt genau diese herbei, indem er Ungeimpften einredet, sie seien Opfer einer „Jagd“. Das hilft niemandem außer ihm selbst. Kaum besser stellt es RKI-Präsident Wieler an, der mit dem Angstruf „Die vierte Welle hat begonnen“ die Politik vor sich herzutreiben versucht. Zur Erinnerung: Die Sieben-Tage-Inzidenz lag gestern bei 16, und angesteckt haben sich ganz überwiegend junge Leute, denen das Virus wenig anhaben kann und die sich so auf natürliche Weise immunisieren.
Richtig: Das Coronavirus hat uns schon zu oft überrascht, als dass wir es jetzt auf die leichte Schulter nehmen sollten. Aber das Land schon wieder in den Panik-Modus hineinzureden und damit empfänglich für den nächsten Lockdown zu machen, ist auch für den qua Amt zur Vorsicht verpflichteten Chef der Seuchenschutzbehörde töricht. Er folgt noch immer einer gescheiterten No-Covid-Strategie, die mit drakonischen Maßnahmen Infektionen auf ein Minimum drücken will, aus der Inzidenz einen Fetisch und uns alle dauerhaft zu Geiseln der Pandemie macht. Zentrales Kriterium muss jetzt, da die Risikogruppen geimpft sind, die Zahl der Klinikeinweisungen sein. Solange sie beherrschbar bleibt, ist auch eine Inzidenz von 500 keine Katastrophe. Auch die härtesten Virus-Bekämpfer unter unseren Politikern sollten sich hüten, Geimpften noch einmal Freiheitsrechte zu entziehen. Die Zeit des mentalen und gouvernementalen Ausnahmezustands muss jetzt, da alle ein Impfangebot hatten, unwiderruflich vorbei sein.
Natürlich bleibt es enorm wichtig, dass sich noch mehr Bürger zur Impfung entschließen. Wer sich selbst schützt und damit auch alle anderen, nimmt eine gesellschaftliche Verantwortung wahr. Wer den Bürgern so wie Aiwanger das Gegenteil weismacht, entzieht sich als hoher Repräsentant unseres Gemeinwesens dieser Verantwortung.
Georg.Anastasiadis@ovb.net