München – Wenn über Hubert Aiwanger mal außerhalb von Bayern was zu lesen war, dann gern mit spöttischem Unterton. Sein Dialekt, seine eigenwillige Rede über herumlaufende halbe Hendl, neuerdings die Impf-Weigerung, gaben Anlass für Häme und Heiterkeit. Der Tenor der Berichte über den Freie-Wähler-Chef hat sich in den vergangenen Tagen allerdings spektakulär geändert. „Dieser Mann könnte die Wahl völlig verändern“, titelte ntv.
Plötzlich Ehrfurcht? Oder zumindest Furcht? Vor allem in der CSU wächst die Sorge, dass die Freien Wähler durch den bundesweit beachteten Impf-Zoff Stimmen gewinnen, vielleicht gar den Sprung in den Bundestag schaffen. In den wenigen bundesweiten Umfragen, die Aiwangers Partei gesondert ausweisen (statt als Teil der „Sonstigen“), lagen sie bei drei Prozent. Mit Blick auf das gewaltige bundesweite Medienecho Aiwangers in diesen Tagen sind die letzten zwei Pünktchen nicht unmöglich. Es ist ja längst keine bayerische Exklusivpartei mehr, die Freien Wähler sitzen auch in den Landtagen von Rheinland-Pfalz und Brandenburg; in Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt holten sie zuletzt über drei Prozent. Auch wenn es am Ende 4,5 Prozent wären für Aiwangers Partei – ein Großteil der Stimmen käme aus dem bürgerlichen Lager und würde damit die Union schmerzen.
Die Alarmglocken klingeln bei beiden bayerischen Koalitionspartnern. Führende CSU-Politiker bemühten sich nach Informationen unserer Zeitung, den Zoff um Aiwanger doch nicht eskalieren zu lassen. Auch von den Freien Wählern selbst kommen Signale zur Deeskalation. Hier wird befürchtet, dass sich die durchaus impfwillige Basis von Aiwanger abwendet, wenn er weiter Stimmung gegen den Pieks machen sollte.
Der öffentliche Schlagabtausch von Söder und Aiwanger „erweist unserem gemeinsamen Kampf gegen Corona einen Bärendienst“, sagt zum Beispiel Fabian Mehring, der parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag. „Ungeachtet der nahenden Wahlen ist Corona nämlich noch nicht besiegt.“ Er warnt beide Parteichefs ungewöhnlich deutlich vor „zwanghaftem Impfmissionarismus“ (Söder) und „unbegründeten Zweifeln an der Wissenschaft“ (damit dürfte Aiwanger gemeint sein). Mehring rät: „Weniger an Umfragen und mehr an die Menschen denken – und rhetorisch abrüsten.“
Freie Wähler im Bundestag – das hieße, dass auch in Bayern die Regierung umgebildet wird. Aiwanger hat fest zugesagt, dann nach Berlin zu wechseln. Offen ist seine Nachfolge in Söders Regierung. Fraktionschef Florian Streibl wurde schon genannt, aber auch Mehring. In der CSU kursiert eine ungewöhnlichere Spekulation: Würde Aiwanger seine Lebensgefährtin Tanja Schweiger dann als Nachfolgerin vorschlagen, vielleicht fürs Wirtschaftsministerium? Die 43-jährige ist seit 2014 Landrätin in Regensburg, 2020 mit starkem Ergebnis wiedergewählt. Die Landespolitik kennt sie von sechs Jahren im Landtag, 2008 bis 2014.
Minister werden kann man in Bayern ohne Landtagsmandat. Würde sich Aiwanger damit durchsetzen, müsste die CSU das akzeptieren. Unter den FW-Abgeordneten gäbe es allerdings starke Widerstände, ist von mehreren Seiten zu vernehmen.
Charme hat der Gedanke, weil die Freien bisher nur männliche Minister in die Regierung schickten. Tanja Schweiger selbst weist den Gedanken nicht brüsk zurück. Ob sie sich einen Wechsel in die Regierung vorstellen könne? „Aktuell nicht“, sagt sie. Das lässt Spielraum für Spekulation. cd