Der geplatzte No-Covid-Traum

von Redaktion

Delta lässt die Corona-Zahlen in vielen Ländern wieder steigen – auch in jenen, die eine harte Strategie verfolgten

München/Wuhan/Sydney – James Roberts ist so leicht nicht aus der Fassung zu bringen. Doch das, was dem 28-jährigen bulligen Star der australischen Rugby-Liga kürzlich passierte, machte ihn wirklich fassungslos. Wegen Verstoßes gegen die strengen No-Covid-Regeln der Regierung von Queensland wurde der Sportler nicht nur für ein Spiel gesperrt, sondern musste auch 7500 Dollar Strafe zahlen. Sein Vergehen: Er hatte in der Quarantäne den Balkon seines Appartements in Sydney betreten und war dabei fotografiert worden. Vorgeschrieben ist, in der Quarantäne Türen und Fenster geschlossen zu halten.

Was sich anhört wie ein australischer Schildbürgerstreich der Regierung, galt zeitweise auch im Berliner Kanzleramt als Vorbild: Die Philosophie, die Corona-Infektionszahlen mit drastischen Maßnahmen gen null zu halten und auf kleinste Ausbrüche mit harten Lockdowns zu reagieren. Mittlerweile ist offensichtlich: Australiens No-Covid-Strategie ist gescheitert: Dauer-Lockdowns mit erheblichen Belastungen für Bürger und Wirtschaft sind die Folge, mittlerweile patrouillieren Polizei und Militär in den Metropolen, um die Restriktionen durchzusetzen. Zwar gelang es, die Todeszahlen lange Zeit niedrig zu halten (925 Todesopfer bei 25 Millionen Bürgern), doch mittlerweile steigen die Infektionszahlen an.

Auch in China hat sich die Ansicht, mit drastischen Maßnahmen das Virus ein für alle Mal besiegen zu können, als Irrtum herausgestellt: Das Coronavirus ist zurück in Wuhan. In jener Stadt, die als Ausgangspunkt der Pandemie gilt, haben die Behörden gestern Massen-Zwangstests für alle elf Millionen Einwohner angekündigt. Zuvor waren sieben Infektionen bei Wanderarbeitern nachgewiesen worden. Auch in anderen chinesischen Städten versuchen die Gesundheitsbehörden mit Lockdowns und Reisebeschränkungen, die Ausbreitung der hochansteckenden Delta-Variante einzudämmen.

In Wuhan war Ende 2019 der weltweit erste Infektionsherd des Coronavirus festgestellt worden. Die Millionenstadt in der Provinz Hubei wurde daraufhin komplett abgeriegelt, die letzten Infektionsfälle wurden dort vor gut einem Jahr gemeldet.

Mit strikten Maßnahmen auch in anderen Städten hatte China die Ausbreitung des Virus bis Sommer 2020 weitgehend unter Kontrolle gebracht. Peking pries sich selbst als weltweites Vorbild bei der erfolgreichen Ausrottung des Virus an. Nun breitet sich aber auch in der Volksrepublik die Delta-Variante aus: Seit Mitte Juli wurden im ganzen Land mehr als 400 neue Fälle entdeckt. Gestern meldeten die Gesundheitsbehörden landesweit 61 Neuinfektionen.

In Wuhan stürmten viele Menschen schon am Montagabend die Geschäfte, um sich vor einem möglichen neuen Lockdown mit Lebensmitteln einzudecken. Vor dem strikten Lockdown 2020, als die Stadt 76 Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten war, hatte es ebenfalls massenhaft Hamsterkäufe gegeben.

Die neuen Infektionsfälle in der Volksrepublik gehen laut Behörden auf einen Infektionsherd in der ostchinesischen Metropole Nanjing zurück. Dort waren Mitte Juli neun Reinigungskräfte am Flughafen positiv auf das Virus getestet worden. Inzwischen sind gut 20 Städte in rund einem Dutzend Provinzen von den Infektionsherden betroffen, auch Peking. ALEXANDER WEBER

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