München – Seit Wochen diskutiert die Politik, ob bei einer neuen Corona-Welle neben der Inzidenz auch die Impfquote entscheiden soll, wie streng Maßnahmen sein müssten. Schon vor Wochen hatte Ministerpräsident Markus Söder dafür zunächst „eine verbindliche Formel“ gefordert. Die zu finden, sei aber schwierig, räumte jüngst sein Gesundheitsminister Klaus Holetschek ein. Nun scheint ein zweites Problem hinzuzukommen. Ein Bericht des Robert-Koch-Institutes (RKI) nährte Zweifel an der Richtigkeit der Impfquoten.
Inzidenz und Impfquote hätten konkrete Auswirkungen auf den Alltag, kritisierte etwa FDP-Generalsekretär Volker Wissing. „Jetzt steht die für die Herdenimmunität der Bevölkerung so wichtige Impfquote in Frage, weil die Bundesregierung nicht über gesicherte Zahlen verfügt.“ Anlass der Kritik ist der neueste Bericht des Covid-19-Impfquoten-Monitorings (Covimo) des RKI. Regelmäßig werden dafür bundesweit 1000 Erwachsene befragt.
In der ersten Julihälfte gaben 79 Prozent aus der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen an, mindestens einmal geimpft zu sein. Das sind 20 Prozent mehr, als die offizielle Statistik des RKI, das Digitale Impfquoten-Monitoring (DIM), zu der Zeit auswies. Das DIM wird rein aus Meldedaten der impfenden Stellen gespeist. Was stimmt nun?
Die 79 Prozent scheinen selbst den Autoren des Berichts zu hoch. Denn Geimpfte seien in der Befragung wohl überrepräsentiert. Menschen, die sich nicht impfen ließen, würden auch eher nicht an der Befragung teilnehmen. Und Menschen ohne Deutschkenntnis, eine Gruppe mit geringerer Impfquote, wurden nicht befragt.
Die offiziellen Zahlen des DIM sind aber wohl auch zu niedrig. Denn von den impfenden Betriebsärzten sei bislang erst die Hälfte an das DIM angeschlossen, so die Autoren. Gehe man davon aus, dass die Betriebsärzte alle bis Anfang Juli erhaltenen Dosen auch verimpft hätten, müsste die Erstgeimpften-Quote für die 18- bis 59-Jährigen für Mitte Juli tatsächlich bei 62 statt 59 Prozent liegen. Berücksichtige man noch den Johnson&Johnson-Impfstoff, von dem eine Dosis reicht, den niedergelassene Ärzte aber nur als Zweitimpfung melden, läge die Quote noch mal vier Punkte höher.
Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, sieht keinen Grund, die Impfquoten generell in Zweifel zu ziehen. „Wir unterschätzen womöglich die Zahl der Erstgeimpften etwas“, sagt er. „Aber wir sprechen hier über wenige Prozentpunkte.“ Und mit Blick auf die Impfquote der Gesamtbevölkerung sei die Abweichung zwischen den beiden Datenquellen viel geringer. Die aufgetauchten Fragen würden auch nichts daran ändern, dass das Impftempo sinke. Und man wisse, „dass noch nicht genug Leute geimpft sind“.
Bei den offiziellen Impfquoten ist laut DIM derzeit Bremen Spitzenreiter, mit 65 Prozent voll Geimpften in der Gesamtbevölkerung. Der Bundesschnitt liegt bei 56,1, der bayerische Wert bei 54,5 Prozent. Niedriger ist die Quote nur in vier ostdeutschen Ländern. Schlusslicht ist Sachsen mit 49,3 Prozent.
Eine weitere Erkenntnis des Berichts: Der Großteil der Befragten befürwortete, dass die Behörden „alle nötigen Mittel“ aufbringen sollen, um die Impfquote zu erhöhen. Aber weniger als die Hälfte der Befragten war auf Nachfrage für konkrete Maßnahmen gegen Ungeimpfte, etwa den Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen. Gar eine Bestrafung für Menschen, die einer Impfempfehlung nicht folgen wollen, lehnten mehr als zwei Drittel der Studienteilnehmer ab. S. REICH