So traurig, so beschämend. Die Taliban machen in wenigen Wochen zunichte, was der Westen 20 Jahre lang aufgebaut und mit Ach und Krach verteidigt hat. Zu erleben ist nicht nur der Zusammenbruch einer fragilen, weil von korrupten Akteuren beherrschten Staatlichkeit. Sondern auch das Ende der Illusion, der Westen könne ein Land vom Kopf auf die Füße stellen, wenn er nur lange genug Geld, Material und Manpower schickt.
Dass viele Entscheider von Washington bis Berlin überrascht sind, ist vielsagend. Offenbar war man naiv genug zu glauben, die Taliban hielten sich an Absprachen – etwa die, keine Städte anzugreifen. Und offenbar gab es eine Art Grundvertrauen in die Abwehr-Fähigkeit der afghanischen, auch von der Bundeswehr geschulten Sicherheitskräfte. Aber was die Truppen den Taliban an Kämpfern, Budget und Waffen zweifellos voraus haben, machen die Islamisten mit Moral und Kampfeswillen wett. Dass Außenminister Maas glaubt, sie mit Geldentzug stoppen zu können, ist ein Ausdruck fortgeschrittener Hilflosigkeit.
Die Regierung in Kabul will nun Berichten zufolge das Unvermeidliche vorziehen und den Taliban einen Teil der Macht anbieten. Das mag wie das Gnadengesuch eines Verurteilten klingen, könnte aber die beste aller schlechten Optionen sein, weil quälende Kämpfe und viele Tote verhindert würden. Die verbliebenen Alliierten sollten helfen, die siegestrunkenen Islamisten auszubremsen und zu Verhandlungen zu zwingen. Gelänge es, Kabul noch eine Weile zu stabilisieren, bliebe zumindest die Hoffnung, dass die 20 Jahre nicht völlig umsonst waren.
Marcus.Maeckler@ovb.net