Dresden – Zuletzt waren die Auftritte von Kurt Biedenkopf seltener geworden. Doch im sächsischen Landtagswahlkampf 2019 mischte „König Kurt“ noch kräftig mit. Auch als Schlichter im Tarifkonflikt der Bahn oder als „Elder Statesman“ bei Treffen pensionierter Spitzenpolitiker fühlte er sich trotz seines Alters wohl. Auch der privaten Dresden International University blieb er als Gründungspräsident treu. Am Donnerstagabend starb der CDU-Politiker mit 91 Jahren in Dresden.
Biedenkopf wird vor allem als erster Regierungschef Sachsens nach der Wiedervereinigung in Erinnerung bleiben – von 1990 bis 2002 lenkte er die Geschicke des Freistaats. Für den Westdeutschen war das damals ein unerwartetes politisches Comeback. 1973 war der Rechtsprofessor auf Vorschlag von Parteichef Helmut Kohl Generalsekretär der CDU geworden. Biedenkopf galt als brillanter Ideengeber und Analytiker. Später avancierte er zum Rivalen Kohls. „Unterschiedliche Auffassungen über Politik“, gab Biedenkopf als Grund an. In den 80ern sorgte er nur noch bei der CDU Nordrhein-Westfalen für Schlagzeilen. Dann war eigentlich Schluss mit der Politik. Fortan wollte sich der Professor nur noch der Wissenschaft widmen.
Die Wende in der DDR änderte diesen Plan. Da es der ostdeutschen CDU an geeigneten Führungskräften mangelte, wurden dringend West-Importe benötigt. Für Biedenkopf bot sich die Chance, es alten Widersachern noch einmal zu zeigen. Tatsächlich sorgte er in den 90ern für die besten Wahlergebnisse der Union im Osten. Die Sachsen-CDU herrschte 14 Jahre allein. „Ich bin damals freiwillig nach Sachsen gekommen, um zu helfen – nicht um zu regieren“, sagte der Mann, der Modelleisenbahnen liebte und den die Sachsen bald „König Kurt“ nannten.
Ehefrau Ingrid übernahm die Rolle der Landesmutter, wurde zur Mitregentin. Legendär ist ihr Ausspruch „Seit wir Ministerpräsident sind…“. Ingrid Biedenkopf wurde zu einer Art Kummerkasten. Viele wandten sich persönlich an sie, wenn sie etwa eine Wohnung brauchten oder der Telefonanschluss zu lange auf sich warten ließ.
Sachsen erlebte mit Biedenkopf eine Gründerzeit. Das war freilich nicht nur sein Verdienst. Doch er steuerte das Land souverän durch eine schwierige Nachwendezeit. Später bekam sein Nimbus Kratzer. In der Paunsdorf-Affäre wurde ihm vorgeworfen, für ein Behördengebäude in Leipzig einen erhöhten Mietpreis für einen Duzfreund durchgesetzt zu haben. Im Möbelhaus Ikea wollte er gemeinsam mit seiner Frau einen Rabatt. Zudem gab es Kritik am Führungsstil Biedenkopfs, der nur selten eine zweite Meinung neben seiner gelten ließ. So gab er schließlich 2002 zur Hälfte der Legislaturperiode sein Amt auf – im Alter von 72 Jahren.
Fortan arbeitete er vor allem an seinen Tagebüchern. Im Herbst 2015 kam heraus, dass die Veröffentlichung erster Teile weitgehend vom Steuerzahler finanziert wurde. Insgesamt gab Sachsen 307 900 Euro für die ersten drei Bände aus. Das Geld stammte aus einem Etat für Publikationen zum Thema „25 Jahre Deutsche Einheit“ und floss an die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung. Die stellte extra zwei Leute ab, um Biedenkopfs Aufzeichnungen zu sichten und zur Veröffentlichung vorzubereiten. Die Regierung machte ein staatspolitisches Interesse geltend, eine für Sachsens Geschichtsschreibung „bedeutsame Quelle“, hieß es. Ein Geschmäckle blieb.
Dennoch tat das Biedenkopfs Popularität keinen Abbruch. Auch als Polit-Rentner war er gefragt – manchmal über Parteigrenzen hinaus. Auf Wunsch des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder (SPD) trat er 2004 dem Ombudsrat für Hartz-IV-Beschwerden bei. Später übernahm er den Vorsitz einer Regierungskommission zur Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung. Das Thema Bildung interessierte den Hochschulpolitiker bis zuletzt. „Es besteht kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsdefizit“, lautete einer seiner Standardsätze. Ein anderer erklärt seinen Tatendrang: „Ich hätte keine Ruhe, wenn ich nichts zu tun hätte.“
Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber würdigte Biedenkopf als „großartigen Freund und Verbündeten Bayerns“. Biedenkopf sei einer der konsequentesten Verfechter der sozialen Marktwirtschaft gewesen, so Stoiber. Unter seiner Führung hätten der Freistaat Sachsen und der Freistaat Bayern eine einzigartige Reformpartnerschaft geschlossen, „die bis heute Früchte trägt“. JÖRG SCHURIG