München – Nach der Rückkehr der Taliban fürchten Beobachter, dass auch Terrorgruppen dort wieder Fuß fassen. Diese Gefahr sieht Peter R. Neumann, Terrorismus-Forscher am Londoner King’s College, nicht. Dennoch würden Bewegungen wie Al-Kaida oder Islamischer Staat vom Abzug der internationalen Truppen profitieren.
Herr Neumann, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 marschierten die USA in Afghanistan ein, weil die Täter dort eine sichere Basis gefunden hatten. Droht mit der Rückkehr der Taliban auch die Rückkehr von Terrorgruppen wie Al-Kaida?
Ich denke, dass das nicht unmittelbar droht. Man kann schlecht vorhersagen, was in zwei, drei Jahren sein wird. Aber die Taliban haben aus ihren Fehlern gelernt. Dass sie Osama bin Laden und Al Kaida systematisch Unterschlupf gewährten, war der Hauptgrund für den Angriff der USA und ihrer Verbündeten. Das wollen sie derzeit nicht riskieren und haben Unterstützung durch Al-Kaida auch nicht nötig.
Was unterscheidet die Taliban von vor 20 Jahren von der Bewegung heute?
Sie ist militärisch stärker. Und sie ist pragmatischer. Das ideologische Programm ist zwar dasselbe, aber es haben Leute das Sagen, die meinen, dass man nicht alle Ziele sofort erreichen muss. Das ist aber eine Konfliktlinie innerhalb der Taliban.
Es gibt weiter eine Nähe der Taliban zu Al-Kaida?
Es gibt über Jahre gewachsene Verbindungen, die irgendwann auch wieder mehr Gewicht bekommen könnten. Es gibt auch UN-Berichte über vereinzelte Al-Kaida-Präsenz in Afghanistan. Aber bei den Taliban will man sich nicht Osama bin Ladens Nachfolger ins Haus holen. Al-Kaida-Ausbildungslager, die Ziel von Luftschlägen sein könnten, wird man momentan eher aktiv verhindern.
Gilt das auch für andere Terrorgruppen wie den IS?
Der Islamische Staat ist eine islamistische Bewegung, die überall, wo sie auftaucht, eine rein religiös begründete Ideologie durchsetzen will und einen alleinigen Wahrheits- und Machtanspruch erhebt. Die Taliban sind auch islamistisch, aber eben auch eine von der paschtunischen Stammeskultur geprägte Gruppe. Ihre Vorstellungen eines Rechtssystems sind auch davon geprägt, ihre Ansprüche regional begrenzt. Sie hoffen auch auf wirtschaftliche Beziehungen zu China oder Iran, wo man ein Erstarken des Islamischen Staates in Afghanistan ebenfalls nicht begrüßen würde.
Falls sich bei den Taliban die Hardliner durchsetzen, die auch einen internationalen islamistischen Kampf unterstützen wollen: Hat man dagegen eine wirkliche Handhabe?
Man würde wohl mit Drohnen, Luftangriffen und Spezialeinheiten vorgehen. Bis jemand erneut Bodentruppen entsenden würde, müsste sehr viel passieren. Ein Problem wird der mangelnde Informationsfluss werden. das hat sich auch schon in den zwischenzeitlich vom IS besetzten Gebieten als Riesenproblem erwiesen.
Beobachter verweisen darauf, dass Gruppen wie der IS auch ohne wachsenden Einfluss in Afghanistan von der Rückkehr der Taliban profitieren.
Islamistisch-extremistische Organisationen weltweit nehmen den vermeintlichen Sieg der Taliban über den Westen für sich in Anspruch. Das ist wohl unter Terrorismus-Gesichtspunkten für den Westen die unmittelbarste Folge der Rückkehr der Taliban. Die Botschaft lautet: Seht her. Wenn selbst eine so rückständig wirkende Truppe die großen USA besiegen kann, dann ist für uns alles möglich. In sozialen Medien feiern Islamisten jetzt den Sieg über Amerika. Für islamistische Extremisten ist das wichtig. Denn seit dem Ende des Kalifats des IS im Irak und Syrien hatten sie keine großen Erfolge zu vermelden.
Wie wirkt sich das hier auf die Sicherheitslage aus?
Es kann sein, dass sich Leute dadurch angesprochen fühlen. Es ist möglich, dass es dadurch ein leicht gestiegenes Risiko für Anschläge durch Einzeltäter gibt, die sich ermutigt fühlen.
Interview: Stefan Reich