Eine Provinz gegen die Taliban

von Redaktion

VON VERONIKA ESCHBACHER

Kabul – Achmad Massud scheint sehr beschäftigt zu sein. Der 32-jährige Afghane sei unabkömmlich, er besuche mehrere Kontrollpunkte im Pandschir-Tal, erklärt sein Sekretär Asis Achmad am Telefon. Auch sein Assistent Fahim Daschti meint, es sei doch verständlich, dass der Mann, der sich an die Spitze der Nationalen Widerstandsfront gegen die militant-islamistischen Taliban stellen will, gerade „viele Dinge“ um die Ohren habe. Eines aber, sagt Daschti weiter, wisse er: „Massud ist gut gelaunt.“

Das ist eigentlich bemerkenswert angesichts dessen, dass die Taliban die kleine Provinz Pandschir im Nordosten Kabuls umzingelt haben. Sie ist die letzte Bastion im Land, die die Taliban nicht eingenommen haben. Seit der Machtübernahme der Islamisten vor rund einer Woche laufen Gespräche zwischen den Taliban und Vertretern der Provinz, die bereits in den 90er-Jahren erbitterten Widerstand gegen die Islamisten geleistet hatte. Viele blicken nun gespannt auf die Provinz mit ihren steilen Bergen und engen Tälern.

So gespannt, dass es in den vergangenen Tagen immer wieder vorschnelle Meldungen gab, es werde bereits gekämpft. Mitnichten, sagt Massuds Assistent Daschti. „Weder haben die Taliban uns angegriffen, noch haben wir die Taliban angegriffen.“

Die Vorbereitungen für eine mögliche bewaffnete Auseinandersetzung allerdings laufen. In sozialen Medien tauchten kürzlich Videos auf, die Fahrzeugkonvois mit Bewaffneten im Tal zeigen. Achmad Massud will dort den Widerstand anführen. Er ist der Sohn von Achmad Schah Massud, besser bekannt als der „Löwe von Pandschir“, und will nun, da die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben, offenbar in die Fußstapfen seines Vaters treten. Dieser hatte in den 90er-Jahren erbitterten Widerstand gegen die Taliban geleistet, bis er bei einem Selbstmordattentat zwei Tage vor dem 11. September 2001 getötet wurde.

„Unsere Priorität sind Frieden und Verhandlungen“, sagt Daschti. Wenn aber die Taliban auf Gewalt setzten, „dann beginnt eine weitere Periode des Krieges in Afghanistan“. Wie stark der bisherige Widerstand sei, will Daschti nicht sagen. Nur so viel: Viele Menschen aus anderen Provinzen des Landes seien bereits in der Provinz.

In der Tat gab es an dem chaotischen Tag des Falls von Kabul Mitte des Monats Berichte, zahlreiche Sicherheitskräfte seien mit ihrer Ausrüstung in das Tal gefahren, darunter angeblich eineinhalb Bataillone der Spezialkräfte. Bereits in den Wochen davor schafften Pandschiris unzählige Waffen, Munition und andere Kriegsausrüstung dorthin.

Aber auch von außerhalb Pandschirs gibt es Meldungen über einen aufkeimenden Widerstand gegen die Taliban-Herrschaft. Aus drei Bezirken der Provinz Baghlan, gleich an der Grenze zu Pandschir, kamen in den vergangenen Tagen Berichte über einen ersten bewaffneten Widerstand. Die Islamisten gestanden die Gefechte insofern ein, indem sie am Montag erklärten, die drei Bezirke Pul-e Hesar, Bano und Dih-e Salah seien vollständig von der „Präsenz des Feindes“ gereinigt worden. Wie es tatsächlich gerade um die Bezirke steht, ist unklar.

Achmad, der Sekretär von Massud, sagte am Montag, der Widerstand in Baghlan bestünde aus lokalen Milizen, die es bereits früher gegeben habe. Sie stünden mit dem Widerstand in Pandschir in Kontakt, aber es gebe keine klare Befehlskette. Vielmehr gingen sie auf eigene Faust gegen die Taliban vor.

Wie weit sie damit kommen, ist unklar. Beobachter sagen, der junge Massud habe einen prominenten Namen, aber wenige Verbündete. Zudem wisse man von keinem Land, das ihm Unterstützung zugesagt habe. Auch sei unklar, ob es im Land nun viel Appetit gebe, einen Krieg wieder aufzunehmen, nachdem er endlich beendet scheint.

Für Thomas Ruttig von der Denkfabrik Afghanistan Analysts Network ist es noch zu früh, überhaupt von einem Widerstand zu sprechen. Man dürfe zudem nicht vergessen, dass die Pandschiri-Fraktion der Nordallianz Mitauslöser der Konflikte nach dem US-Einmarsch 2001 gewesen sei. Die Nordallianz habe pauschale Rache an den Paschtunen vor allem in Norden dafür genommen, dass viele von ihnen die Taliban unterstützt hatten. Das habe für Zulauf für die Taliban gesorgt.

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