München – Der Abzug der letzten internationalen Truppen rückt näher und am Flughafen Kabul spielen sich immer dramatischere Szenen ab. Die Zugangstore des Flughafens müssten wegen des Ansturms verzweifelter Afghanen mehrfach geschlossen werden, berichtete der französische Botschafter in Kabul, David Martinon. Draußen würden sich die Menschen drängen, in der Menge seinen bereits Personen zu Tode gequetscht worden.
Und die Sorgen vieler, die fürchten, nicht mehr ausgeflogen zu werden, scheinen berechtigt. „Es könnte jederzeit vorbei sein“ mit den Evakuierungen, räumte ein Vertreter Frankreichs mit Blick auf das Ringen um eine Einsatzverlängerung ein.
Am Nordtor des Flughafens war es am Montag zu einem Feuergefecht mit Unbekannten unter Beteiligung der Bundeswehr gekommen, bei dem ein afghanischer Soldat getötet wurde. Auch von deutscher Seite wird Tag für Tag berichtet, dass sich die Situation am Flughafen Kabul zuspitze. Bei der Bundeswehr wächst die Angst vor Anschlägen durch IS-Terroristen. Hinweise, dass potenzielle Selbstmordattentäter „in die Stadt einsickern“, würden zunehmen, sagte Generalinspekteur Eberhard Zorn in Berlin.
Außenminister Heiko Maas hatte am Montagabend berichtet, dass sich die Lage „weiter chaotisiert habe“. Angesichts der knappen Zeit gestand er am Dienstag ein: „Wir werden in den verbleibenden Tagen dieser militärischen Evakuierungsaktion nicht alle aus Afghanistan rausbekommen können.“ Gemeint sind damit tausende afghanische Ortskräfte deutscher Stellen sowie afghanische Menschenrechtsaktivisten, die unter der Herrschaft der radikalislamischen Taliban in Gefahr sind. Auch Frankreich spricht von noch „tausenden von Anträgen“ bedrohter Afghanen. Ähnliches ist aus London oder aus Washington zu hören.
Derzeit sichern knapp 6000 US-Soldaten den Flughafen. Sie sollen aber nach bisherigen Plänen bis zum 31. August abziehen. Mehrere europäische Staaten haben bereits angekündigt, ohne deren Unterstützung nicht mehr evakuieren zu können.
Die Hoffnungen auf eine mögliche Verlängerung der Evakuierungen ruhten am Dienstag auf dem G7-Gipfel. Die Staats- und Regierungschefs der führenden westlichen Industrienationen sprachen am Nachmittag per Videoschalte über die Lage. Vor allem Deutschland, Frankreich und Großbritannien erhofften sich ein längeres US-Engagement. US-Präsident Joe Biden sagte nach dem Treffen, man wolle am Datum 31. August festhalten. Der endgültige Abzug hänge letztlich aber vom Fortschritt der amerikanischen Evakuierungspläne ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, derzeit werde intensiv darüber geredet, wie nach dem US-Abzug ein ziviler Flugbetrieb möglich sein könnte. Die G7 würden eine Gruppe einsetzen, um einen „Fahrplan zu entwickeln, wie wir die Verabredungen mit den Taliban in Zukunft gestalten können“.
Die Taliban erklärten, eine längere Präsenz nicht zu akzeptieren. Ein Sprecher forderte die US-Streitkräfte am Dienstag auch auf, keine afghanischen Fachkräfte außer Landes zu fliegen. Nur Ausländer dürften ausfliegen. afp