GEORG ANASTASIADIS
Die Warnungen der Geheimdienste vor der bevorstehenden Eroberung Kabuls hat man in den westlichen Hauptstädten noch in den Wind geschlagen. Nicht so die Hinweise auf drohende Anschläge, die sich gestern auf tragische Weise bewahrheitet haben. Die Luftbrücke aus Afghanistan in die Freiheit ist damit früher als erwartet zusammengebrochen. Fast 6000 Menschen hat die Bundeswehr in letzter Minute noch ausfliegen können. Doch die Bilanz klingt besser, als sie ist: Unter den Geretteten waren kaum Ortskräfte. Sie bleiben in der Hölle von Kabul zurück, den Launen islamistischer Gotteskrieger hilflos ausgeliefert. Im Bundestag gab es dafür jetzt viele Worte des Bedauerns, aber kein Schuldeingeständnis der Kanzlerin und ihrer Minister, die für dieses katastrophale Versagen die Verantwortung tragen. Noch so ein Trauerspiel.
Dem militärischen Scheitern des Westens folgt nun noch die politische Demütigung. Die Taliban haben eine Rettung der Ortskräfte vereitelt, weil es für sie das bessere Geschäft ist, sie in ihrer Gewalt zu behalten. Sie können im Gegenzug für das Versprechen, das Leben der einheimischen Helfer des Westens zu schonen, jetzt zahlreiche Zusagen erpressen, vor allem viele Milliarden Dollar Entwicklungshilfe. Die werden die neuen Herrscher brauchen. Um die bettelarme Bevölkerung nicht in eine Hungersnot zu stürzen. Und um ihre neue Macht zu sichern. Denn diese ist durch noch radikalere Kräfte bedroht, die das Land und seine gepeinigten Menschen in einen neuen Bürgerkrieg stoßen wollen. Die barbarischen Anschläge von gestern liefern dafür einen ersten Vorgeschmack.
Deutschland wird zahlen und das Taliban-Regime unfreiwillig alimentieren müssen, um sich so gut es geht von seiner moralischen Schuld freizukaufen. Sein Ansehen wird es, ebenso wie seine Verbündeten, nach der halsbrecherischen Flucht aber nicht retten können. Überall auf der Welt haben Menschen und Regierungen aufmerksam verfolgt, wie wenig Verlass auf westliche Zusagen ist. In Moskau und in Peking darf man sich die Hände reiben.
Georg.Anastasiadis@ovb.net