München – Die Videosequenz des Anstoßes ist nicht sehr lang, aber die wenigen Sekunden reichen, um Armin Laschet neuen Ärger zu bereiten. In dem Ausschnitt betritt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident in seiner Heimatstadt Aachen einen Imbiss, grüßt zwei Gäste freundlich („Alles jut?“) und mit coronakonformem Faustkontakt – und setzt sich erst dann seine Maske auf. Aus dem Off ist dazu Laschets Stimme zu hören: „Das ist für mich normales Leben.“
Wer es mit dem CDU-Kanzlerkandidaten böse meint – und das sind im Internet eine ganze Menge Menschen –, interpretiert Laschets Verständnis von einem normalen Leben so: Regeln gelten nur für die anderen, auch in einer Pandemie. Gemeint hat es der Landesvater natürlich anders. Der joviale Kontakt mit Menschen außerhalb des Politikbetriebs ist eine Disziplin, in der er ziemlich gut ist und durchaus glaubwürdig. In einer späteren Szene der ARD-Dokumentation, die am Wochenende ausgestrahlt wurde, trinkt er mit den beiden Herren einen Schnaps. Berührungsängste gibt es auf beiden Seiten nicht.
Das bewahrt Laschet nicht vor beißender Kritik der Netzgemeinde. Sie reicht von der Vermutung, langsam habe er „jeden Fehler mit Masken mindestens einmal gemacht“, über „1 1/2 Jahre Pandemie und nicht dazu gelernt“ bis zu „Der macht seine Satire doch selber“. Immerhin, vereinzelt wird er in Schutz genommen. Der Fehler lasse ihn menschlich wirken, zudem wird – kein unwichtiger Hinweis – daran erinnert, dass die Szene vor Wochen entstand, als die Inzidenz in NRW noch moderat war und das Land nicht bundesweit Spitzenreiter.
Ärgerlich ist die Episode für die CDU-Kampagne trotzdem. Laschets Problem ist, dass er vor dem Schnellgericht der Sozialen Medien als einschlägig vorbelastet gilt. Nicht nur sein herzhaftes Lachen im Flutgebiet ist dort noch unangenehm in Erinnerung. Zuverlässig wird auch auf die Anfangsphase der Pandemie verwiesen, als Laschet seinen Mund-Nasen-Schutz mit freier Nase trug, oder auf einen unglücklichen Auftritt mit Tesla-Gründer Elon Musk. Keinem Spitzenpolitiker haften Fauxpas so hartnäckig an. Bei Jens Spahn erinnert niemand mehr an die maskenfreie Fahrt im vollbesetzten Krankenhausaufzug, auch FDP-Chef Christian Lindner muss sich längst nicht mehr für die ungeschützte Umarmung eines Bekannten rechtfertigen, während im Land strenge Hygieneauflagen galten.
Wie rasch und umbarmherzig in Sozialen Medien über die Wahlkämpfer geurteilt wird, mussten dieser Tage auch die Grünen erfahren. Mit ihrer Version des Volksliedes „Kein schöner Land“ sei es „gelungen, die Twitterblase zu sprengen“, umschrieb Bundesgeschäftsführer Michael Kellner das Feuerwerk an Fremdscham. Was er aber zu Recht anmerkte: Gedacht ist der Spot gar nicht für die netzaffinen Anhänger, die sich über einen Zuschuss fürs Lastenfahrrad freuen würden und Geschlechtergerechtigkeit fast so hoch hängen wie Klimaschutz. Wichtiger sind ihm „begeisterte Reaktionen bei Tante, Onkel, Großeltern“. Bei der Generation 60plus haben die Grünen Luft nach oben.
Ein bisschen schräg agieren sie dabei aber schon, nicht nur stimmlich. Während die SPD in ihrem gestern vorgestellten neuesten Spot Bilder eines staatsmännischen Olaf Scholz mit dem Amtseid Helmut Schmidts unterlegt, wirbt die Ökopartei offensiv mit ihrem Defizit. „Wählt die Grünen“, appelliert ein Kandidat aus Schleswig-Holstein deshalb. „Für konsequenten Klimaschutz und damit wir aufhören zu singen.“ MARC BEYER