Polen plant Einstieg in Atomkraft

von Redaktion

Neue AKWs in der Nähe der Ostsee sollen beim Kohle-Ausstieg helfen – was bedeutet das für Deutschland?

Zarnowiec – Ein Schild am braunen Eisentor warnt: „Baugelände. Betreten verboten.“ Doch auf dem Zufahrtsweg dahinter wuchert längst ein Wald aus hohen Kiefern – gebaut wird hier schon lange nicht mehr. In Zarnowiec, nur wenige Kilometer von der Ostseeküste entfernt, sollte in kommunistischer Zeit Polens erstes Atomkraftwerk entstehen. Heute wirkt die riesige Bauruine wie das Symbol einer gescheiterten Epoche. Der in den 80er-Jahren begonnene Bau des Prestige-Projekts wurde 1990 aufgeben. Denn auch in Polen wuchs nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 der Widerstand gegen die Atomkraft.

Heute jedoch plant die nationalkonservative PiS-Regierung den massiven Einstieg in die Atomenergie – in Deutschland wird das mit Sorge verfolgt. Die beiden favorisierten Standorte liegen in der Nähe der Ostsee: erneut Zarnowiec und Lubiatowo-Kopalino, beide gut 70 Kilometer von Danzig und 450 Kilometer von Berlin entfernt.

Spätestens 2026 soll mit dem Bau des ersten Reaktorblocks begonnen werden, der 2033 ans Netz gehen soll, heißt es in dem im Februar vorgelegten Strategiepapier „Polens Energiepolitik bis 2040“. Bis zum Jahr 2043 sollen fünf weitere Reaktorblöcke folgen. Die Atomkraftwerke sollen Polen bei Ausstieg aus der Kohle helfen – gegenwärtig gewinnt das Land fast 80 Prozent seiner Energie aus Steinkohle und Braunkohle.

AKWs seien die „billigste Energiequelle unter Berücksichtigung der Gesamtkostenbilanz und der Betriebszeit“ und könnten die „energetische Sicherheit des Landes“ absichern, wirbt die Regierung in einem weiteren Papier von 2020 zu ihrer Atompolitik. Im Oktober 2020 schloss Polen bereits ein Abkommen mit den USA über nukleare Zusammenarbeit.

Laut einer aktuellen Umfrage lehnen 45 Prozent der Polen den Bau von Atomkraftwerken ab, 39 Prozent sind dafür. Trotzdem gebe es in der Region um Danzig bislang keine Organisation, die gegen die AKW-Pläne mobil mache, sagt der grüne polnische Abgeordnete Tomasz Anisko.

Dafür wächst das Unbehagen in Deutschland. Polens Pläne seien „rückwärtsgewandt“, sagt Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. „Die polnische Entscheidung ist ökonomisch nicht klug und nimmt Risiken auf sich, die heute völlig überflüssig sind.“ Ein Anfang des Jahres erstelltes Gutachten, das ihre Fraktion bei fünf renommierten Umwelt- und Nuklearexperten in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Schluss: Bei einem Unfall in einem polnischen AKW wäre Deutschland bei Betrachtung aller Wind- und Wettermöglichkeiten mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent betroffen. „Im schlimmsten Fall wären 1,8 Millionen Deutsche einer Strahlung ausgesetzt, bei der evakuiert wird“, sagt Kotting-Uhl.

Auch die Bundesregierung hat reagiert. Ende März schickte sie Warschau eine Stellungnahme mit vielen offenen Fragen zum polnischen Energieprogramm 2040. Berlin fordert die Einbindung in die AKW-Planung, weil potenziell erhebliche negative grenzüberschreitende Umweltauswirkungen auf Deutschland nicht ausgeschlossen werden könnten, heißt es darin. Auch stamme die Umweltverträglichkeitsprüfung für die AKW-Standorte von 2010 und sei veraltet. Ungeklärte Fragen aus deutscher Sicht betreffen zudem den Aufbau einer polnischen Atomaufsichtsbehörde sowie die Zwischen- und Endlager für verbrauchte Brennelemente.

Zum weiteren Verlauf gibt sich das Bundeswirtschaftsministerium zugeknöpft. „Mit Rücksicht auf die bilaterale Zusammenarbeit“ wolle man keine Einzelheiten zur Kommunikation mit der polnischen Regierung nennen.

DORIS HEIMANN

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