Kabul – Sie wagen, was viele nach der Machtübernahme der Taliban vor drei Wochen nicht mehr für möglich hielten. Lautstark fordern am Samstag Frauen in der afghanischen Hauptstadt Kabul, auch künftig lernen und arbeiten zu dürfen und dass Frauen auch in der künftigen Regierung vertreten sein müssten. Eine Weile können sie ihren Protest kundtun. Zwei Dutzend Frauen tragen Schilder in den Händen. Auf denen steht: „Wir sind nicht die Frauen von vor 20 Jahren“ oder „Gleichheit – Gerechtigkeit – Demokratie!“. Dann kommt es zu Zusammenstößen mit den Taliban.
Mindestens eine Frau wird dabei verletzt, berichten lokale Journalisten. Sie teilten das Video einer Frau, der Blut vom Kopf läuft. Videos von lokalen TV-Sendern zeigen chaotischen Szenen. Zu sehen ist, wie die Frauen von mindestens 50 Sicherheitskräften umzingelt sind. Ein Taliban-Kommandeur fragt über einen Lautsprecher „Wartet, was ist das Problem, was wollt ihr, es gibt kein Problem Mädchen, okay?“, während im Hintergrund eine junge Frauenstimme zu hören ist, die fragt: „Warum schlagt ihr uns?“
In einem Video von Aktivistinnen, etwas abseits der Demo aufgenommen, sagt eine Frau, Frauen hätten sich gebildet, um in hochrangigen Regierungspositionen zu arbeiten. „Was ist unsere Schuld, dass sie uns heute ins Abseits drängen?“, fragt sie. Die Frau, die das Video aufnimmt, sagt weiter, der friedliche Protest von Frauen sei von den Taliban unterdrückt worden. Diese hätten Warnschüsse abgegeben und Tränengas eingesetzt. Die Videos und Angaben lassen sich jedoch nicht unabhängig verifizieren.
Während des Taliban-Regimes zwischen 1996 und 2001 durften Frauen nicht arbeiten und nur verschleiert in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds das Haus verlassen. Mädchen wurden vom Schulunterricht ausgeschlossen. Viele Frauen befürchten, dass die Islamisten wieder ähnliche Regeln für sie einführen werden.
Eine Teilnehmerin der Demonstration in Kabul sagt, sie sei angesichts der Situation gezwungen, auf die Straße zu gehen und ihre Rechte einzufordern. Sie habe drei Universitätsabschlüsse und nun wolle man von ihr, dass sie zu Hause bleibe. Die Taliban würden Frauen nur in niedrigen Positionen wollen.
Die neuen Machthaber hatten zwar angekündigt, dass Frauen weiterhin zur Schule gehen und auch arbeiten dürften, aber nur in wenigen Berufen, etwa im Gesundheitssektor. Am Sonntag veröffentlichten die Taliban ein Regelwerk für den Universitätsbesuch von Frauen, mit strengen Vorschriften zu Bekleidung und räumlicher Trennung von Männern.
Militärischer Widerstand regt sich weiter nördlich von Kabul. Seit mittlerweile fünf Tagen gibt es zwischen Taliban und Kämpfern der Nationalen Widerstandsfront Gefechte um Pandschir, die einzige Provinz im Land, die die Taliban bisher nicht kontrollieren. Beide Seiten gaben an, das sie der jeweils anderen Seite heftige Verluste zugefügt hätten. Die von den Taliban seit Tagen angekündigte Bekanntgabe der künftigen Regierungsmitglieder fand bislang nicht statt, offiziell wegen der anhaltenden Kämpfe im Pandschir-Tal, wohl aber auch wegen interner Differenzen. US-Militärs äußern Zweifel, ob die Taliban eine Regierung bilden und ihre Macht sichern können. Er schätze die Lage so ein, dass sich ein Bürgerkrieg abzeichne, sagte US-Generalstabschef Mark Milley.
Für die Bundesregierung bleiben die Taliban derweil Ansprechpartner, um die Ausreise weiterer Ortskräfte zu ermöglichen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Sonntag, darüber müsse natürlich mit den Taliban gesprochen werden. Die fordern von Deutschland offizielle diplomatische Beziehungen, wie einer ihrer Sprecher der „Welt am Sonntag“ sagte. Demnach wollen sie auch finanzielle und humanitäre Hilfe sowie Kooperation bei Gesundheit, Landwirtschaft und Bildung. dpa/afp