Die Gefahr der Selbstzufriedenheit

von Redaktion

Wirtschaftsmagazin „The Economist“ stellt dem Standort Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus – Kritik an Merkel

München – Auch im Ausland dämmert es vielen, dass in Deutschland eine Ära zu Ende geht. Nach 16 Jahren wird die Kanzlerschaft Angela Merkels (CDU) bald Geschichte sein. Ganz Europa müsse lernen, ohne sie zu leben, schrieb dieser Tage die spanische Zeitung „La Vanguardia“. Immerhin sei Merkel eine Art Europakanzlerin gewesen.

So weit, so schmeichelhaft. Aber was bleibt tatsächlich? Welches Land hinterlässt die Kanzlerin? Und was kommt auf Deutschland zu? Die britische Wochenzeitung „The Economist“ hat sich diesen Fragen gewidmet und kommt zu einem ernüchternden Fazit: In der „Selbstzufriedenheit“ der Deutschen liege eine enorme Gefahr, schreibt der Autor des Sonderberichts, Tom Nuttall. Am Ende der Ära Merkel drohe besonders der Wirtschaft ein Abstieg.

Unter dem Titel „Nach Merkel“ macht der Bericht jene Bereiche aus, in denen es dem Magazin zufolge dringend Wandel brauche. Erste Diagnose: Merkel hinterlasse ein „Loch in der Infrastruktur“. Sparmaßnahmen und ein enormer Arbeitskräftemangel hätten zum Ausbleiben öffentlicher Investitionen geführt, heißt es. Nicht nur für Straßen und Schulen müsse viel Geld in die Hand genommen werden; auch die Klimaziele erforderten „enorme Investitionen in Stromnetze und Verkehrsnetze“. Eine Reform von Bürokratie und Föderalismus sei unabdingbar.

Sorgenvoll blickt der Bericht auch auf die deutsche Autoindustrie. Das politische Ziel, bis 2030 etwa 14 Millionen Elektroautos auf die Straßen zu bringen, stelle die deutschen Hersteller vor große Herausforderungen – und nicht nur sie: „Der Niedergang des Verbrennungsmotors bedroht auch das Geschäftsmodell tausender kleiner und mittlerer mittelständischer Teilehersteller.“

Der „Economist“ war es einst, der „Germany’s surprising economy“ lobte, als andere noch vom „kranken Mann Europas“ sprachen. Im Sommer 2005 war das, tatsächlich folgte ein beispielloser Aufschwung. Seither schaut man auf das, was das Magazin so schreibt. Leider wird es im neuen Bericht nicht besser.

Auch die demografische Situation bereite Sorgen, heißt es. Die schrumpfende und alternde deutsche Gesellschaft steuere auf große Probleme beim öffentlichen Rentensystem zu. Von einer „schweren Krise“ ist die Rede. Sie drohe spätestens, wenn die vielen Babyboomer in Rente gehen.

Der Bericht verliert allerdings auch ein paar lobende Worte über die Kanzlerin, vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik. Merkel sei eine „unverzichtbare Führungspersönlichkeit in Europa“ gewesen – vor allem angesichts russischer Aggressionen auf der Krim und in der Euro-Krise. In diesem Bereich werde sie eine „klaffende Lücke“ hinterlassen. Angesichts wachsender Herausforderungen müsse eine neue Regierung aber eine „aktivere Rolle“ in den Außenbeziehungen einnehmen.

Am schlechten Ausblick für den (Wirtschafts-)Standort Deutschland ändert das seichte Lob aber nichts. Merkels Erbe sei ein Land, das selbstzufriedener sei denn je. Diesen Zustand zu überwinden, sei die größte Herausforderung für Merkels politische Erben.  mmä

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