„Wie verrückt müssten wir denn sein?“

von Redaktion

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans will sich Gespräche mit der Linken nicht verbieten lassen

München – Tatsächlich ist SPD-Chef Norbert Walter Borjans nicht ganz einfach zu finden. Der Mann, von dem die Union mutmaßt, die SPD verstecke ihn und andere links von Olaf Scholz stehende Parteikräfte, um die Wähler nicht zu verschrecken, ist in Bayern auf Wahlkampftour – aber nicht am vereinbarten Treffpunkt. Walter-Borjans sitzt schon beim Mittagessen in einem Giesinger Griechen.

Herr Walter-Borjans, hier versteckt die SPD Sie also vor den Wählern …

Ja, jeden Tag woanders. Und es macht viel Spaß, in jedem Versteck wieder auf neuen Marktplätzen zu stehen und für den besseren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zu werben. Wenn ich morgen nach Rheinland-Pfalz komme, bin ich übrigens in allen Bundesländern mehrfach aufgetreten. So viel zum Verstecken.

Tatsächlich fällt aber auf, dass Sie, Saskia Esken oder Kevin Kühnert sich neuerdings in allen Punkten mit Ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz einig zu sein scheinen. Dabei haben Sie ihn als möglichen Parteichef noch hart bekämpft.

Unsere heutige Stärke ist genau die Folge dieses fairen Wettbewerbs um die Parteiführung. Das hat die Partei gefestigt und geeint. Olaf Scholz stand nicht nur immer für die Werte der SPD. Er hat sie als Bundesarbeitsminister und Erster Bürgermeister von Hamburg auch umgesetzt. Dass wir politisch und menschlich so harmonieren, ist die Grundlage dafür, dass wir heute so gut dastehen. Auch wenn das einige Außenstehende gar nicht fassen können.

Nach der Wahl beginnt also nicht der große Richtungsstreit in der SPD?

Mit der Benennung von Olaf Scholz als Kanzlerkandidat haben Saskia Esken, ich und der gesamte Parteivorstand die Überzeugung untermauert, dass er der Richtige ist, die Richtlinien der Regierungspolitik zu bestimmen und sie zu garantieren. Das ist das verbriefte Recht des Kanzlers nach dem Grundgesetz. Dem Kanzlerkandidaten der CDU/CSU trauen hingegen nicht einmal die eigenen Leute zu, dass er das Amt mit gebotenem Ernst und Zuverlässigkeit ausüben könnte.

Woraus schließen Sie das?

Ich sitze mit CSU-Chef Markus Söder im Koalitionsausschuss und erlebe, was auf der Berliner Bühne bei CDU und CSU abläuft. Die haben das Problem, dass einer dem anderen nicht traut. Auch ich hielte einen Kanzler Armin Laschet für ein Risiko.

Um Scholz auf den Schild zu heben, brauchen Sie aber Koalitionspartner. Wie überzeugen Sie die FDP, dass eine Ampel besser ist als Jamaika?

Wenn wir rechnerische Mehrheiten haben, werden wir mit möglichen Partnern sondieren. Dann muss man sehen, wo Schnittmengen liegen – aber auch, wo es Ausschlusskriterien gibt.

Kann man denn auch mit der Linken koalieren?

Die Linke hat in ihrem Programm eine Reihe von Punkten, die gut klingen – die gibt es bei uns aber auch, nur in machbar. Dennoch werden wir mit allen demokratischen Kräften sprechen. Wie verrückt müssten wir denn sein, wenn wir uns von FDP und CDU/CSU im Vorhinein vorschreiben ließen, mit wem wir reden dürfen?

Markus Söder sagt: Unter Rot-Rot-Grün gäbe es für Bayern Steine statt Brot. Hat er Recht?

Das ist offenbar der letzte Strohhalm, um von den eigenen Defiziten abzulenken. Wenn CDU und CSU weiter als dominierende Kraft regieren, hätte ich stattdessen eher die Sorge, dass sich die Vetternwirtschaft, die wir bei den Maskendeals gesehen haben, und die Blockade gegen jede Transparenz noch verstärken.

Interview: Sebastian Horsch

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