Del Rio/Port-au-Prince – Am Flughafen von Port-au-Prince kommt es zu chaotischen Szenen. Aus den USA abgeschobene Haitianer versuchen, zurück in das Flugzeug zu steigen. Sie gehören zu den Tausenden Menschen, die unter einer Brücke im texanischen Del Rio an der Grenze zu Mexiko campierten. Und finden sich nun in der haitianischen Hauptstadt wieder. Manche sagen Journalisten, ihnen sei nicht erklärt worden, wohin sie geschickt wurden.
Einige geben auch an, ihr Heimatland sei ihnen inzwischen fremd – sie wüssten jetzt nicht wohin. Die haitianischen Migranten unter der Brücke kamen größtenteils nicht direkt aus Haiti, sondern waren bereits vor Jahren nach Südamerika ausgewandert. „Für diese Menschen ist Haiti die Hölle“, sagt der Chef der haitianischen Migrationsbehörde, Jean Negot Bonheur Delva, vor Journalisten. Dem Karibikstaat fehlen die Mittel, sich um sie zu kümmern.
Im Mai entschied die US-Regierung, jenen Haitianern vorübergehenden Schutzstatus (TPS) zu gewähren, die in den USA wohnen und bestimmte Kriterien erfüllen. Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas teilte mit: „Haiti erlebt derzeit ernste Sicherheitsprobleme, soziale Unruhen, eine Zunahme von Menschenrechtsverletzungen, lähmende Armut und einen Mangel an grundlegenden Ressourcen, was durch die Covid-19-Pandemie noch verschärft wird.“ Die Menschen müssten unterstützt werden, bis sich die Verhältnisse in Haiti so weit verbesserten, dass sie sicher nach Hause zurückkehren könnten.
Besser geworden ist die Lage in dem ärmsten Staat Amerikas seitdem nicht – im Gegenteil. In der Nacht zum 7. Juli wurde Staatspräsident Jovenel Moïse von einer Kommandotruppe in seiner Residenz erschossen. Aufgeklärt wurde die Tat bis heute nicht – Querelen innerhalb der Interimsregierung behinderten zuletzt die Ermittlungen. Der zuständige Richter gab zudem den Fall ab, nachdem ein Mitarbeiter unter ungeklärten Umständen gestorben war. Ein beschlussfähiges Parlament gibt es seit Anfang 2020 nicht mehr. Kommenden Sonntag waren eigentlich Wahlen geplant – wann sie wirklich stattfinden können, steht in den Sternen.
Kämpfe zwischen Banden um Territorium legen Teile der Hauptstadt immer wieder lahm und führen zu Versorgungsengpässen. Entführungen stehen auf der Tagesordnung. Der Süden ist oft vom Rest des Landes abgeschnitten, weil die Gangster die wichtige Straße dorthin am Rande von Port-au-Prince blockieren.
Das erschwert auch die Hilfseinsätze nach einem Erdbeben der Stärke 7,2 im Südwesten Haitis, bei dem Mitte August mehr als 2200 Menschen ums Leben kamen. Nach UN-Angaben brauchten einen Monat später noch immer rund 650 000 Menschen dringend Hilfe. In den kommenden Monaten würden voraussichtlich eine Million Bewohner der Region unter akuter Lebensmittelknappheit leiden. Das schon zuvor überstrapazierte Gesundheitssystem ist ohnehin mit der Pandemie überfordert. Weniger als ein Prozent der rund elf Millionen Einwohner Haitis sind geimpft.
Am 3. August verlängerte das US-Heimatschutzministerium die TPS-Bestimmungen um 18 Monate. Anspruch auf Schutz in Form temporärer Aufenthaltsgenehmigungen haben aber nur Haitianer, die seit spätestens 29. Juli in den USA wohnhaft sind. In Del Rio hat Mayorkas die Abschiebungen nun damit gerechtfertigt, nach Einschätzung der USA könne Haiti Menschen sicher aufnehmen. NICK KAISER