München – Wer mag, kann sich trösten: Es hätte noch deutlich schlimmer kommen können. Vor der Wahl warnten Experten vor einem Bundestag mit mehr als 1000 Abgeordneten. Verglichen damit ist die Realität – 735 Parlamentarier werden es sein, 26 mehr als bisher – noch einigermaßen verträglich. Dennoch: Der Bundestag ist so groß wie nie zuvor. Die eigentlich festgelegte Grenze von 598 Mandatsträgern satt überschritten.
Das neue, aufgeblähte Parlament wird womöglich noch behäbiger werden als bisher. Und mit Sicherheit noch teurer. Der Bund der Steuerzahler hat errechnet, dass die zusätzlichen 26 Abgeordneten in der Wahlperiode bis 2025 für Mehrkosten von mindestens 410 Millionen Euro gegenüber der Normgröße von 598 Abgeordneten sorgen würden – „ohne dass dem vielen Steuergeld ein parlamentarischer Mehrwert gegenübersteht“, so Steuerzahlerbund-Präsident Reiner Holznagel. Holznagel plädiert für eine feste Obergrenze: „500 Bundestagsabgeordnete sind genug!“ Das Einsparpotenzial im Vergleich zu 735 Abgeordneten liege locker bei 700 Millionen Euro.
Die wesentliche Ursache für die erneute Aufblähung liegt im Wahlrecht. Deutschland ist in 299 Wahlkreise eingeteilt. Mit der Erststimme wird in jedem Wahlkreis ein Kandidat direkt gewählt. Mit der Zweitstimme werden Parteien gewählt, die dazu Listen aufstellen. Im Idealfall kämen so zu den 299 Direktmandaten 299 Listenmandate hinzu. Aber: Gewinnt eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, darf sie diese behalten. Durch die „Überhangmandate“ steigt die Zahl der Abgeordneten schon mal. Und sie steigt weiter, weil die zusätzlichen Mandate durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien kompensiert werden. So sollen sich die Mehrheitsverhältnisse aus den Zweitstimmenergebnissen auch tatsächlich im Parlament abbilden.
Für Fachleute steht fest: Mehr Abgeordnete bedeuten nicht gleich bessere Arbeit. „Die Regelgröße 598 ist mit Bedacht gewählt worden und soll vor allem einen möglichst effizienten und reibungslosen Ablauf der parlamentarischen Arbeit garantieren“, sagt der Wahlforscher Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung. „Zu große Fraktionen, Arbeitsgruppen und Ausschüsse erschweren die Abläufe und machen die parlamentarische Arbeit schwerfälliger.“
Mehr Abgeordnete brauchen auch mehr Platz. Gerade wird nahe dem Reichstag ein neues Bürogebäude in moderner Modulbauweise aus Holz und Stahl errichtet. Für veranschlagte 70 Millionen Euro entstehen 400 Büros, die zum Jahresende bezugsfertig sein sollen. Bis dahin muss improvisiert werden. Jedem Abgeordneten – inklusive Mitarbeiter – steht eine Bürofläche von 54 Quadratmetern zu. Noch größer wird das Platzproblem im Plenarsaal. In ihn passen durch Zusammenrücken zwar auch 1400 Menschen. Unter Corona-Abstandsregeln ist aber nur Platz für maximal 340 Abgeordnete. Die konstituierende Sitzung wird wohl in die wesentlich größere Halle des Paul-Löbe-Hauses verlegt, ein Gebäude in unmittelbarer Nähe zum Reichstag.
Der Bund der Steuerzahler hat errechnet, dass allein diese mandatsbezogenen Kosten bei jährlich 765 000 Euro je Abgeordnetem liegen. Die Organisation hat inzwischen eine Petition „Schluss mit dem XXL-Bundestag!“ gestartet. Ein wenig Hoffnung auf Verschlankung macht auch eine Kommission, die sich mit der Reform des Wahlrechts befassen soll. Der Bundestag muss sie noch einsetzen.