München – Einigkeit ist selten in der AfD, auch am Tag nach der Wahl macht die Partei da keine Ausnahme. Während das Spitzenduo Alice Weidel und Tino Chrupalla das maue Ergebnis von 10,3 Prozent durchaus stabil findet, schlägt Parteichef Jörg Meuthen ganz andere Töne an. „Unter dem Strich wird man das als Erfolg nicht vermelden können“, sagt er am Montag in Berlin. Die kommende Analyse müsse schonungslos sein.
Intern setzte man sich ein bescheidenes Ziel: zehn Prozent plus x. Das wurde gerade so erreicht, die Verluste von 2,3 Punkten schmerzen dennoch. Dass Weidel und Chrupalla nicht ganz so bitter auf das Ergebnis schauen, mag an einem bemerkenswerten Detail liegen: So schwach die AfD im Westen des Landes abschneidet, so wuchtig ist sie im Osten. In Sachsen und Thüringen ist sie mit je einem Viertel der Stimmen stärkste Kraft, fährt insgesamt 16 Direktmandate ein. 16! Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren waren es noch drei.
Das Ost-West-Gefälle ist nicht ganz neu, aber diesmal so auffällig, dass Meuthen die Partei noch am Wahlabend davor warnt, zur Lega Ost zu werden, also zur Regionalpartei, wie es die Lega Nord in Italien lange war. Aber warum die Unwucht? Warum gelingt der besonders radikal auftretenden Ost-AfD, was die ultra-konservative West-Partei nicht schafft?
Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden beobachtet die Entwicklung der AfD im Osten seit Jahren. Das gute Abschneiden dort ist für ihn keine Überraschung. „Die Partei hat sich vor allem im südlichen Ostdeutschland längst etabliert“, sagt er. Sie gewinne ihr Personal aus ganz bodenständigen Milieus und sei dort teils fest verwurzelt, gebe den Kümmerer. „Die AfD macht das sehr geschickt und hat auch bei jungen Wählern Erfolg. Ich würde sagen: Da wächst etwas nach.“ Das zeigte sich vorige Woche bei den U-18-Wahlen: Kinder und Jugendliche in Sachsen und Thüringen stimmten mehrheitlich für die AfD.
Dass der Boden gerade im Osten fruchtbar ist, wundert nicht. Anders als im Westen gebe es zumindest in einigen Teilen des Ostens eine „fest gefügte rechte politische Landschaft, die nicht mehr weggeht“, sagt Vorländer. „Manche Regionen hier bestehen aus Trotz, Dauerwiderspruch und Skepsis gegenüber allem, was aus Berlin kommt.“ Erschwerend hinzu kam diesmal die enorme Unbeliebtheit Armin Laschets.
Die Rolle der Dauer-Protestpartei erfüllte früher mal die Linke. Aber die AfD hat ihr den Rang als Ost-Partei längst abgelaufen. Bundesweit wählten diesmal 90 000 Menschen die AfD, die vor vier Jahren noch für die Linke stimmten. Die, sagt Vorländer, habe ihr Milieu im Osten längst verloren. Sie gelte vielen als „Teil des Establishments“: träge, kosmopolitisch oder, um es mit Sahra Wagenknecht zu sagen, zu lifestyle-links.
Die radikale Ost-AfD ist wegen ihres Erfolgs wie beflügelt – genau das sorgt den gemäßigteren Teil der Partei um Meuthen. Der lange verdeckte Konflikt zwischen beiden Lagern könnte im Nachgang der Wahl wieder aufbrechen. Der Rechtsextremismusexperte und Soziologe Matthias Quent rechnet damit, dass die völkische Strömung um Thüringens Landeschef Björn Höcke an Einfluss gewinnt. Der habe jetzt „Rückenwind für die innerparteilichen Machtkämpfe gegen Jörg Meuthen“.
Der betont gestern noch mal, die AfD müsse einen „gesamtdeutschen Auftritt“ haben. Nur das Wie bleibt er schuldig. mit dpa