München – Er war der Mann, der hinter den Kulissen die Fäden zog – nun muss er mit den Folgen leben. In den Wirren der Kandidatenkür zwischen CDU und CSU mutierte Wolfgang Schäuble zu dem Mann, der Markus Söder verhinderte. Jetzt ist die Union nur noch zweitstärkste Kraft im Bundestag und wird deshalb wohl das Amt des Parlamentspräsidenten verlieren. Schäuble ist damit ein Opfer seiner eigenen Politik.
Der Journalist Robin Alexander erzählt in seinem Buch „Machtverfall“ ausführlich, wie Schäuble in den dramatischen Tagen zur entscheidenden Figur mutierte. Zum Beispiel bei einem Treffen von Armin Laschet und Markus Söder. Lange hatten beide Lager nach einem geeigneten Ort für die heikle Besprechung gesucht. Neutraler Boden sozusagen. Schließlich fand man sich in Schäubles Büro im Bundestag zusammen – wo der Gastgeber plötzlich zum Entscheider mutierte. Dort und auch bei der Besprechung im CDU-Vorstand drängte Schäuble auf ein Votum für den CDU-Mann. „Wenn wir uns Söder beugen, dann ist unsere CDU tot“, soll Schäuble laut Alexander einmal gesagt haben. „Dann treten wir in vier Jahren als ,Liste Söder‘ an.“ Mit der „Liste Söder“ spielte Schäuble wohl auf die „Liste Kurz“ an, zu der der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz die ÖVP umfunktioniert hatte.
Nun, tot ist die CDU nach dieser Wahl nicht. Aber zumindest schwer angeschlagen. Auch Schäuble selbst. Der 79-Jährige verbrachte einen unschönen Wahlabend: Seit 1972 ist er Mitglied des Bundestags, der Kanzler hieß damals Willy Brandt. Doch die 34,9 Prozent Erststimmen, die er in seinem Wahlkreis einfuhr, waren ein absoluter Tiefpunkt. Bei der Bundestagswahl 2017 hatte er noch 48,1 Prozent der Erststimmen geholt, 2013 sogar 56 Prozent. „Das ist kein erfreuliches Ergebnis für die CDU“, sagte Schäuble nach der Auszählung.
Sein Amt als Bundestagspräsident dürfte er damit los sein. Bisher stellte im Bundestag immer die Fraktion mit den meisten Abgeordneten den Präsidenten. Das wäre künftig die SPD. Als mögliche Kandidaten gelten dort der bisherige Fraktionschef Rolf Mützenich sowie der scheidende Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, der sein Direktmandat im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf gewann.
In der Union gärt es. Emmi Zeulner, die CSU-Kandidatin mit dem besten Erststimmen-Ergebnis, griff Schäuble gestern offen an. „Er hat maßgeblich die Union so dominant beeinflusst, beispielsweise bei der Findung des Kanzlerkandidaten. Das wurde im Hinterzimmer ausgekartelt“, sagte Zeulner dem BR. Schäuble wisse, „dass es so, wie es gelaufen ist, nicht in Ordnung war“, sagte die 34-Jährige. „Das sind Entscheidungsfindungsprozesse wie vor hundert Jahren.“
Immerhin eine Ehre bleibt Schäuble: Nach der Geschäftsordnung des Bundestags darf er als Alterspräsident die konstituierende Sitzung eröffnen. Nach so einer Karriere dürfte ihn das kaum trösten. MIKE SCHIER