München – Am Tag 1 nach der Wahl kann man in einem schmucklosen Konferenzraum irgendwo im Münchner Hauptbahnhof ein seltenes Schauspiel erleben: die Verwandlung des Krawall-Aiwanger in den Kuschel-Hubert. „Ich habe null Bedenken“, sagt der Vize-Ministerpräsident, „dass wir ab Donnerstag in Bayern in alter Eintracht weiter arbeiten können.“
Null Bedenken? Vor kurzem haben CSU-Leute den Rücktritt des Impfskeptikers Aiwanger gefordert, ihn vor Journalisten beschimpft und ernsthafte Zweifel an der Koalition geäußert. Man könne auch mit den Grünen, sagte ein Minister. Aiwanger selbst maulte bis vor Kurzem noch, dass er sich an Markus Söders Seite nicht mehr wohlfühlt („Selbst als Opposition kannst du in Berlin mehr erreichen als in einer Landesregierung“). „Unwürdig“ agiere er, schimpfte Söder. Jetzt soll alles kein Thema mehr sein?
Tatsächlich ist die Lage angespannter, als er einräumt. Seit Monaten hat sich das einst harmonische, jedenfalls pragmatische Verhältnis in der bürgerlichen Koalition abgekühlt. Die Freien Wähler leiden unter den Alleingängen des Ministerpräsidenten und seiner medialen Vollpräsenz. Viele seiner Pläne erfuhr die Koalition aus der Zeitung. So was lassen sich nur CSU-Minister gefallen, die von Söders Gnade abhängen – Aiwanger eher ungern. Andererseits schimpft die CSU, dass sich der Niederbayer gegen die eigene Regierung profiliere. Das war bei Corona so, den Debatten ums Impfen, um Masken in Schulen und bei Aiwangers Drohen mit einer Verfassungsklage im Streit um die Lohnfortzahlung für Ungeimpfte.
Schwerer wiegt für die CSU auch die Wahltaktik. Aiwangers vergebliche Kandidatur für Berlin brachte ihm eine dicke Wahlkampfkosten-Erstattung, aber keine Mandate. Es zwackte anderen Parteien bundesweit 2,4, in Bayern 7,5 Prozentpunkte ab. Das habe wohl die „bürgerliche Mehrheit“ in Deutschland gekostet, ärgert sich Söder. Gleichzeitig werden die Freien Wähler in Ostbayern immer stärker, hier auf Kosten der CSU in ihrer Stammwähler-Klientel. Eine „Abgrenzungsstrategie“ will Söders Vize Manfred Weber jetzt erarbeiten.
Der CSU-Chef setzt nun einen Krisengipfel an. „Rückkehr zur Sachpolitik“ müsse jetzt folgen. Man brauche einen „Hygieneprozess“. Indirekt deutet Söder an, dass Aiwangers eigene Leute in Fraktion und Partei mit dessen Stil und Kurs haderten. Es ist ein Hinweis darauf, dass die FW-Minister Aiwanger (Wirtschaft), Thorsten Glauber (Umwelt) und Michael Piazolo (Kultus) wahrlich nicht auf einer Linie liegen. Alle drei stehen nicht im Ruf, Stützen im Kabinett zu sein – viele CSU-Minister indes auch nicht. Söder fordert nun, das in der Koalition verhakte neue Klimaschutzgesetz schnell auf den Weg zu bringen, zudem Vorstöße zur Digitalisierung und eine klarere Schul- und Kita-Politik. Am Donnerstag tagt das bayerische Kabinett wieder.
Platzt das Bündnis? Rechnerisch möglich wären auch schwarz-grüne oder schwarz-rote Formationen, die Schnittmengen beim Inhalt sind da aber kleiner. Gerade mit den Grünen würde es für Söder ungemütlich. Menschlich klappt es mit Aiwanger eigentlich, wenn beide unter vier Augen zusammensitzen.
Auch Aiwanger will die Bayern-Koalition retten. Für ihn geht es da ums Amt, Titel, Kritiker raunen: Dienstwagen und den zuletzt sehr präsenten Personenschutz. Vermutungen, er könne hinwerfen, bewahrheiten sich vorerst nicht. Der Streit habe „in Wahlkampfzeiten vielleicht einen etwas ruppigen Eindruck gemacht“, sagt er. Aber die Stimmung sei „deutlich besser als zu Beginn der Koalition“. Auf seine Partei sei Verlass. „Wir sind fair, kollegial, kompromissbereit.“