München/Berlin – 206 glückliche Menschen sind gestern in Berlin zusammengekommen. Die SPD-Bundestagsfraktion traf sich zum ersten Mal in neuer Zusammensetzung, und es scheint eine emotionale Veranstaltung gewesen zu sein. Angefangen damit, dass sich die rund 100 Neu-Parlamentarier der Reihe nach vorstellten. Unter ihnen mehrere, die als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland kamen und nun von der „Ehre“ sprachen, dem Bundestag anzugehören.
Die Zusammensetzung der Fraktion ist gestern häufig thematisiert worden. Nicht nur die schiere Größe – 53 mehr als vor vier Jahren – begründet das pralle Selbstbewusstsein, das die Sozialdemokraten in diesen Tagen ausstrahlen. 56 Prozent sind 40 Jahre oder jünger, 42 Prozent sind Frauen, 41 Abgeordnete kommen aus dem Osten. „Unheimlich vielfältige Leute“ seien hinzugekommen, sagt Carsten Schneider, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD. „Man kann mit dieser Truppe richtig was reißen.“
Eine Kennziffer aber sagt besonders viel darüber aus, wie es um das Seelenleben der Abgeordneten bestellt ist. 121 von ihnen haben mit Direktmandaten den Sprung nach Berlin geschafft. Ein solcher Erfolg war einem als Sozialdemokrat in den vergangenen Jahren nicht übermäßig oft vergönnt. Vor vier Jahren gewannen lediglich 59 SPD-Kandidaten ihren Wahlkreis. Diese Zahl dermaßen zu steigern, „das macht natürlich etwas mit einem“, sagt Schneider. Man sei „selbstbewusst und stark“ und habe „einen Auftrag: Olaf Scholz zum Kanzler zu machen“.
Noch in dieser Woche will die SPD die Sondierungen mit den Grünen und der FDP beginnen. Dass die sich schon heute treffen, um mögliche Gemeinsamkeiten auszuloten und Differenzen zu überwinden, beeindruckt die Sozialdemokraten wenig. Rolf Mützenich, der heute als Fraktionsvorsitzender wiedergewählt werden soll, lädt die beiden Parteien zwar, „wenn sie wollen“, zu Gesprächen ein. Er verbindet das aber mit einer unmissverständlichen Ansage.
Beide Parteien, mahnt Mützenich, müssten sich klar darüber werden, „dass das Schauspiel, das sie vor vier Jahren hier manchmal auf Balkonen absolviert haben, nicht den Aufgaben gerecht wird“. Damals stellten sich Vertreter von CDU, FDP und Grünen regelmäßig in entspannter Pose den Fotografen, um den Eindruck guter, harmonischer Gespräche zu vermitteln. Wie sie endeten, ist bekannt. mb